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Archiv-Artikel

Ein Regelwerk wie eine barocke Operette

Es ist nur ein plumpes Vorurteil, dass Rugby bloß etwas für Grobmotoriker und raufende Dummköpfe sei. Aber woher sollen die Deutschen das auch wissen? Beim Bremer Verein Union 60 trifft ein buntes Potpourri von Nationalitäten aufeinander. Von Gedränge, Tieferhalten und Überkicken

taz ■ „Die Abendluft war bleich und fröstelig, nach jedem Sturm und Abschlag der Rugby-Spieler flog die ölige Lederkugel wie ein schwerer Vogel durch das graue Licht.“ Der Schriftsteller James Joyce beschreibt verlockend, was in der Realität dann doch etwas ruppiger daher kommt.

Pauliner Marsch, Freitagabend: Der Rasen dampft. Prustend wälzt sich ein Menschenknäuel über den Platz. Stampfen, schieben, ziehen, springen, passen. Schnaubend und schwitzend verschlingt dieser monströse Tausendfüßler ein Lederei. Plötzlich Geschrei: Geschafft. Freigelaufen. Das Ei unter den Arm geklemmt wie eine kostbare Reliquie. Blitzschnell auf und davon durch Gedränge und Gassen der Abwehrspieler. Behende am vielköpfigen Gegner vorbei. Das Grün des Rasens schmiegt sich sanft an das zu Boden gebrachte Rugby-Ei. Zum Jubel bleibt keine Zeit.

Die Mannschaft von Union 60 trainiert. Es ist wohl nichts als ein plumpes Vorurteil, dass Rugby nur etwas für Grobmotoriker und raufende Dummköpfe sei. Aber woher sollen die Deutschen das auch wissen? Schließlich wird dieser Sport hierzulande noch immer wie ein Stiefkind behandelt. Bloß gut, dass es Ausländer gibt.

In England oder Frankreich gehört Rugby zum obligatorischen Schulsport. Frederic Louis erklärt, was er an diesem Sport so schätzt: „Jeder kann mitmachen: Man braucht dicke, dünne, schnelle, kräftige, große oder kleine Leute: Jeder ist wichtig!“ Fairness werde besonders groß geschrieben. „Beim Rugby gibt es keine Hooligans“, sagt der 25-jährige Franzose, der seit zwei Jahren bei Union 60 mitmacht. Und mit ihm ein Potpourri von Nationalitäten: Spanier, Franzosen, Engländer, Iren, Amerikaner – und auch Deutsche.

Der englische Mannschaftskapitän Ted Wittel spricht von der sozialen Wirkung, die die Leibesübungen mit sich bringen: „Man hat sofort eine Verknüpfung und Anbindung an Einheimische, genauso wie an andere Ausländer, die möglicherweise die gleichen Schwierigkeiten haben, aber auch das gleiche ‚Abenteuer Ausland‘ erleben.“ Außerdem sei die sportliche Seite nicht zu verachten: „Bist du fit, geht alles besser.“

Nicht zu vergessen: die dritte Halbzeit. Nach jedem Rugby-Spiel treffen sich die Spieler und Fans aller Mannschaften, zischen ein kühles Blondes und diskutieren über ihren Sport. Spaß ist ein nicht zu verachtender Faktor. Eine Besonderheit in Bremen: Männer und Frauen trainieren zusammen. „Nee, brutal ist das nicht“, sagt Rugby-Frau Nina Corda. „Es ist körperbetont, klar. Man muss halt Lust haben, sich ein bisschen zu rangeln.“ Die 32-jährige Mutter einer Tochter empfindet das Abrackern auf dem Platz als guten Ausgleich.

Der „exotische“ Sport zieht auch gemütliche Schweizer an. Rudolf Höhn ist so einer – und begeistert: „Ich finde das Spiel archaisch. Es ist ein sperrig gebliebenes Spiel mit einem unglaublichen Regelwerk, das sich wie eine barocke Operette liest.“

Operette? Na ja, das ist die romantische Interpretation. Die Mutter aller Mannschaftsspiele, die bei den alten Griechen „Harpaston“ hieß, hat die Eigenart, den Laien mit einer Vielzahl verwirrender Regeln zu konfrontieren: Gedränge, Gedränge-Halb, Tieferhalten, Touch, Überkicken, Erhöhungstritt, Stemmen – und: es darf nur rückwärts gepasst werden. Was den Effekt hat, dass das gesamte Team beansprucht wird und „Solisten“ keine Chance haben.

Der örtliche Rugbyclub ist oft die internationalste Begegnungsstätte einer Stadt. Um so bedauerlicher findet es Pressesprecher Rudolf Höhn, dass die meisten irgendwann wieder zurück in ihre Länder gehen: „Erst bringen sie das Niveau hoch und dann stehen die Einheimischen alleine da.“ Daniela Barth

Freitags ab 18 Uhr ist Training auf der Pauliner Marsch: Wer Lust hat, kann einfach mitmachen. Keine Scheu vor Körperkontakt!