: Bürgerentscheid homöopathisch
Zehn Jahre Bürgerentscheide in NRW. Kritiker halten die Regelung trotzdem für ein Demokratieplacebo
DÜSSELDORF taz ■ „Wir möchten, dass die Bürger in NRW künftig auch Themen wie Finanzen, Bauleitplanung und Großprojekte entscheiden können – das ist in der Gemeindeordnung bisher aber nicht vorgesehen“, sagt Daniel Schily, Landesgeschäftsführer von „Mehr Demokratie e.V.“. Dass es dazu bald kommt, ist allerdings unwahrscheinlich: Trotz guter Erfahrungen in Bayern, wo sich die Bürger per Bürgerbegehren mehr Entscheidungsrechte bei Bürgerbegehren erstritten, argumentiert eine große Koalition von Bedenkenträgern gegen „Weimarer Verhältnisse“ und “strukturelle Unregierbarkeit der Gemeinden“.
Ein Beispiel für den Unwillen der Ratsmehrheit, sich von den Bürgern politisches Handeln vorschreiben zu lassen, ist die Stadt St. Augustin. Dort erklärte die CDU ein Bürgerbegehren gleich für unzulässig – die Bürger hätten nicht nachvollziehbar dargelegt, wie sie städtischen Finanzen ohne das kritisierte Crossborder-Leasing-Geschäft saniert werden sollten. Landesweit mussten sich die Bürger In 45 von 100 gescheiterten Bürgerbegehren diesen als „Totschlagargument“ kritisierten Einwand anhören. „Das ist ein homöopathischer Bürgerentscheid, ein Demokratieplacebo“, lästern Kritiker deshalb seit langem.
Ganz anders NRW-Innenminister Fritz Behrens (SPD): Bürgerbegehren seien ein „Erfolg“, der mehr „Teilhabe an kommunalen Entscheidungen“ gebracht hätte. Handlungsbedarf sieht sein Ministerium in einem jetzt dem Kommunalausschuss des Landtages vorgestellten Bericht allenfalls bei der Durchführung von Bürgerbegehren und -entscheiden. Bisher nämlich können die Städte bestimmen, ob sie Bürger schriftlich über ein Bürgerbegehren informieren, ob per Briefwahl und an mehreren Tagen in mehreren Wahllokalen abgestimmt wird: „Wir müssen nachdenken, ob wir das per Rechtsverordnung verbindlich vorschreiben – auch wenn wir die kommunale Selbstverwaltung für ein hohes Gut halten“, meint auch Heinz Wirtz, scheidender kommunalpolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion.
Die Grünen würden das sehr begrüßen: Schließlich setzten 1994 vor allem sie mehr direkte Demokratie durch. Bis dahin ging die Macht vom Volke aus –und dann war sie weg. Von der CDU sei mehr Bürgernähe kaum zu erwarten – der kommunalpolitischer Sprecher der Grünen, Ewald Groth, befürwortet deshalb eine Änderung der Gemeindeordnung – „solange wir die Mehrheit stellen“. JOCHEN BÜLOW