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Archiv-Artikel

Low Fidelity

Berliner Plattenhändler im Porträt (Teil 2): Seit 20 Jahren betreibt Volker Quante in Schöneberg „Mr. Dead and Mrs. Free“. Berühmt ist sein spezielles Ordnungssystem, nach dem er Neuveröffentlichungen wie Obskures mit kleinen Zettelchen versieht

Von STEPHANIE GRIMM

Dass ein guter Song einen über den Tag retten kann, ist ein Allgemeinplatz. Damit man zur Regelung seiner Gefühlslagen aber auch immer den richtigen Song auf Lager hat – dazu braucht es einen Vermittler, der einen in neue Richtungen schauen lässt. Im Radio herrscht größtenteils Ödnis, und die einschlägigen Zeitschriften bieten selten mehr als Reklameprosa. So landet man häufig wieder beim Plattenhändler.

Bloß gut, dass es noch solche gibt wie Volker Quante: Der nimmt seine Aufgabe als Mitinhaber und Gründer des (weit über Berlins Stadtgrenzen hinaus) bekannten Ladens „Mr. Dead und Mrs. Free“ sehr ernst. „Man muss bewerten und das, was man über die Musik lernt, auch nach außen tragen. Es geht darum, das Essenzielle rauszufiltern und sich dafür einzusetzen“, umschreibt er seine Mission.

Diesem Konzept folgend, gibt es in seinem kleinen, voll gestellten Laden nicht nur eine Ecke mit seinen Tipps sowie den Empfehlungen von Tim Schneck, seinem Geschäftspartner. Auf vielen Hüllen heften auch kleine Zetteln, die helfen, die Bands musikalisch einzuordnen – manchmal steht dann noch ein „gut!!!“ dahinter. Neben aktuellen Veröffentlichungen findet man bei „Dead and Free“ eine Menge Country und Singer-Songwriter. Doch nicht nur das: das Repertoire reicht quer durch Jahrzehnte und Stilrichtungen: alte Soulplatten stehen da ebenso wie Reggae, und zwischendurch findet man auch Elektronisches.

Warum Letzteres jedoch eher die Ausnahme ist, erklärt Quante so: „Wichtig war uns immer, dass die Musik Songstrukturen hat. Das kann alles mögliche sein: ein Blues-Song, Soul oder Reggae.“ Auf diesem weiten Feld will der Laden die wichtigsten Platten der letzten 50 Jahre – „sofern erhältlich“ – auf Lager haben, so der formulierte Anspruch der beiden Betreiber. Erfreulicherweise auch auf Vinyl.

Als Volker Quante vor über 20 Jahren mit seiner Exfreundin Ina Rüberg – nach ein paar Jahren als DJ und Mitarbeiter in einem Plattengroßhandel – von Bochum nach Berlin ging, und die beiden kurz darauf den Laden aufmachten, „mit ganz wenig Geld und gerade mal 300 Platten“, da waren solche Ambitionen noch Zukunftsmusik. Damals ging es ihnen – inspiriert von Punk und New Wave – darum, die aktuellen Platten aus England und ein paar Sachen aus den USA in den Regalen zu haben. Im Laufe der Zeit, erzählt Quante, entdeckten sie aber neue Interessen. Hört man den mittlerweile 47-Jährigen von seinem Beruf erzählen, dann klingt Plattenverkaufen wie eine nachhaltige und befriedigende Angelegenheit. „Ich staune manchmal selber. Natürlich interessiert mich heute nicht mehr jeder Hype aus England so wie früher. Trotzdem gibt es noch immer 50 neue Platten jedes Jahr, die ich richtig, richtig gut finde – und dann noch mal etwa 50 Platten aus der Vergangenheit, die ich neu entdecke. Obwohl Letzteres mit den Jahren weniger wird.“ Auf jeden Fall kann er sich vorstellen, in 20 Jahren noch im Laden zu stehen – auch wenn er sich bisweilen eine Form der Auseinandersetzung mit Musik wünscht, die nicht „merkantil“ ist – wo es darum geht „mit Musik zu arbeiten und Stimmungen zu erzeugen“. Zum Beispiel könnte er sich vorstellen, einen Club zu machen, in den Über-35-Jährige gerne tanzen gehen.

Doch auch wenn man sich als „Dead and Free“-Anfänger am Neuheiten-Regal festhalten kann: die schiere Komplexität des Ordnungssystems – Obskures steht da einträchtig neben Neuveröffentlichungen – kann den unbedarften Plattenkäufer schon überfordern. War man selbst nicht vor ungefähr 14 Jahren, im Schlepptau des musikversessenen Freundes, jeden Freitagnachmittag im Laden gelandet und hatte doch nach zehn Minuten frustriert die Segel gestrichen, um auf dem Winterfeldtplatz Eis essend seiner Einkäufe zu harren?

Über solche Bekenntnisse muss Volker Quante dann doch ein bisschen grinsen: „Stimmt schon: Es ist eher selten, dass Frauen sich auf die selbe Art für Musik begeistern wie Jungs“. Wir spekulieren über die Gründe für diese unterschiedliche Sozialisation, die sich ja nicht nur im Konsum, sondern auch beim Musikproduzieren niederschlägt. Denn „auch wenn es bei den erfolgreichen Künstlern anteilig wieder mehr Frauen gibt, sind es doch vor allem Jungs, die sich in Bands zusammentun“. Und die im Plattenladen rumstehen und Gespräche führen, wie sie in Nick Hornbys Roman „High Fidelity“, der dem Beruf des Plattenhändlers literarische Weihen verliehen hat, recht realistisch dokumentiert sind.

„Auch ich habe das Buch gerne gelesen und Situationen aus unserem Alltag wiedererkannt. Und immer wieder fragen Kunden, ob wir Inspiration für das Buch waren“, gibt Volker Quante zu. Abschließend meint er: „Wahrscheinlich liegt es einfach daran: Frauen sind einfach keine Sammler. Auch ich habe immer mal wieder solche Tendenzen und muss mir dann sagen: Nein, Sammeln ist einfach doof. Obwohl wir natürlich teilweise von Sammlern leben.“

Über das Thema „nerdige, musikversessene Jungs“ ist man schnell beim Klischee vom arroganten Plattenhändler. Diesen Schuh zieht Volker Quante sich ganz freiwillig an – auch wenn das Spezialistentum bei „Dead and Free“ eigentlich ganz freundlich und angenehm niedrigschwellig daherkommt. „Obwohl das der größte Fehler ist, den du als Plattenhändler machen kannst – arrogant sind wir manchmal auch. Es ist eben manchmal nicht leicht als Dienstleister.“ Doch da kommt Volker Quante auch schon wieder ins Schwärmen – über Leute, die in den Laden kommen und die für ihn das Beste am Job sind: eine ewige Inspiration. „Viele Anregungen kriegen wir auch erst über unsere Kunden. Die wissen über bestimmte Sachen oft mehr als wir.“ So wird es bei „Dead and Free“ wohl noch eine Weile weitergehen.

„Mr. Dead und Mrs. Free“, Bülowstr. 5, www.deadandfree.com, Tel.: 2 15 14 49