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Archiv-Artikel

Leeres Glas, randvoll

Bei der Hauptversammlung der ProSiebenSat.1 AG sollte Aufbruchstimmung verströmt werden. Über Zweckoptimismus kam der Senderchef und „dead man walking“ Urs Rohner kaum hinaus

aus München STEFFEN GRIMBERG

Eigentlich hätte alles ganz anders aussehen sollen: Haim Saban, der neue starke Mann bei der ProSiebenSat.1 AG, wollte ein paar warme Worte sagen und sich dann in den Aufsichtsrat wählen lassen. Aufbruchstimmung wäre verströmt worden bei der Fernsehfamilie der untergegangenen KirchGruppe. Und Vorstandschef Urs Rohner hätte mit seinem charmanten Schweizer Akzent mal wieder gesagt, dass er das alles für eine hervorragende Lösung halte.

Doch Saban war einmal. Die Verhandlungen zwischen dem US-Medienunternehmer und den Insolvenzverwaltern der KirchMedia, zu der die Senderfamilie weiterhin mehrheitlich gehört, sind seit knapp zwei Wochen passee. Zwar standen Saban und seine Getreuen gestern bei der Hauptversammlung der ProSiebenSat.1 AG noch als „Liste 1“ beim Tagesordnungspunkt Aufsichtsratswahlen. Doch nun bleibt alles beim Alten: Die eine Hälfte des deutschen Privatfernsehens gehört weiterhin dem, was von Kirch übrig blieb: „KirchMedia und die Banken sind für uns ein verlässlicher Partner“, sprach Urs Rohner, und dass er das alles für eine hervorragende Lösung hält, verstand sich da von selbst. Denn die Fernseh-AG sei trotz dramatischer Werbeeinbrüche und Quotenrückgangs „kein Sanierungsfall“, und überhaupt hatte der Anwalt aus Zürich, der seit 2000 an der Spitze der Sendergruppe (ProSieben, Sat.1, Kabel 1, N24) steht, bislang jede der zahlreichen Wendungen nach dem Untergang des Hauses Kirch begrüßt – angefangen beim geplanten und dann geplatzten Einstieg des Hamburger Heinrich Bauer Verlags bis zur Offerte des Großinvestors aus den USA. Dass die Gläubiger der KirchMedia bereits am vergangenen Donnerstag die Auflösung des Unternehmens beschlossen hatten, erwähnte Rohner dafür mit keinem Wort.

Macht auch nix: Denn die wird sich wohl über Jahre hinziehen – jetzt werden die Kirch-Insolvenzverwalter eben bei der Sender-AG einreiten: Gerhard Gribkowski, Vorstand der halbstaatlichen Bayerischen Landesbank, Commerzbank-Vorstand Wolfgang Hartmann sowie die Kirch-Abwickler Michael Jaffé und Hans-Joachim Ziems wurden gestern auf der vorbereiteten „Liste 2“ in den ProSiebenSat.1-Aufsichtsrat gewählt. Den zweiten großen Veranstalter von privatem Fernsehen in Deutschland neben RTL lenken so endgültig die Banken und Berater.

Bezeichnend für die Honorigkeit solch „verlässlicher Partner“ ist wohl die Rundmail, die ebenfalls gestern Vormittag die verbleibenden knapp 200 Mitarbeiter der KirchMedia erreichte: „Wir bedauern Ihnen mitteilen zu müssen, dass die Abwicklung der KirchMedia beschlossen wurde“, hieß es da ganz lapidar. Was zumindest den in der Branche als „dead man walking“ verspotteten Urs Rohner nicht zu stören braucht. Im Spiegel-Interview jedenfalls hatte der künftige Aufsichtsrat Ziems seinem Vorstandschef verkündet: „Ich will und werde Urs Rohner nicht ablösen.“ Das passe nicht nur „weder in meine Berufs- noch in meine Lebensplanung“, so Ziems, „es ist auch nicht notwendig.“

Eine neue Unternehmensholding soll die Mehrheit an der Sender-AG übernehmen. Außerdem beteiligt sich die insolvente KirchMedia – sprich: die Banken – zur Hälfte an der insgesamt 300 Millionen Euro schweren geplanten Kapitalerhöhung der Fernseh-AG. Die anderen 150 Millionen sollen Kleinaktionäre an der Börse zeichnen. Doch deren Laune schien gestern wenig geeignet zu sein, Geld in die Kassen zu spülen: „Eine Notlösung“ sei da präsentiert worden, sagte die Aktionärsvertreterin Daniela Bergdolt: „Man schiebt die Suche nach einem neuen Partner hinaus.“ Von der Ruhe, die Urs Rohner so dringend für die „verunsicherten Mitarbeiter“ reklamiere, könne keine Rede sein. Die Mitarbeiter üben sich derweil in Galgenhumor: Man habe doch schon so lange Schweizer Anwälte ertragen, „dass wir mit den paar Bankern auch noch fertig werden“.

Eine konkrete Ansage machte der Schweizer Anwalt Rohner doch noch: „Bis Ende 2004 wollen wir die Marktführerschaft von der RTL Group zurückerobert haben.“ Gut zu wissen.