: Globale entwürdigende Botschaft
Nicht in der arabischen Welt, vor allem im Westen haben die Folterbilder für Aufregung gesorgt. Denn sie rütteln nicht nur am Selbstbild der Amerikaner
AUS KAIRO KARIM EL-GAWHARY
Öffentliche Nacktheit und Sexualität sind ein Tabu in der prüden islamischen Welt. Daher hätten die Bilder mit den Folterszenen aus Abu Ghraib eine besonders verheerende Auswirkung in den arabischen Ländern. So das Argument, das dieser Tage die Runde macht. Zitiert wird aus dem Koran und aus dem islamischen Recht, in dem Nacktheit und Scham eine Einheit darstellten. Bei den Männern handelt es sich um den Bereich zwischen Nabel und Knie und bei den Frauen um den ganzen Körper, klären uns im Fernsehen und in Zeitungen Islamwissenschaftler auf.
Gegenfrage: Welche Wirkung hätte ein Foto im christlichen Deutschland, bei dem ein nackter Deutscher an einer Hundeleine von einem Araber durchs Bild gezogen wird? Würde das im sexuell aufgeklärten Europa zu einem geringeren Aufschrei führen? Die Bilder hätten in allen Kulturen den gleichen Effekt, ob sie einem Inuit am Nordpol, einem Buddhisten in Tibet, einem Hinduisten in Indien, einem Juden in Israel oder einem Atheisten in Berlin vorgeführt würden. Es geht nicht um Nacktheit und Sexualität, sondern um Demütigung. Die Fotos füttern das arabische Gefühl, ständig von einem arroganten Amerika erniedrigt zu werden.
Und die Methode, den Feind mit „Nacktheit vor dem Sieger“ zu demütigen, ist dabei so alt wie der Krieg selbst. Es gibt kaum ein Bild, das weltweit, egal in welcher Kultur, nicht die gleiche entwürdigende Botschaft aussenden würde. Die Verletzung der Menschenwürde lässt sich kaum globaler ausdrücken. Alles allein auf die kulturelle Schiene zu schieben, nach dem Motto „In der stolzen, machodominierten arabischen Welt ist das besonders schlimm“, könnte fast als Themaverfehlung gelten.
Interessanter ist da ein anderer Vergleich. Die Fotos haben sowohl in den USA als auch in der arabischen Welt zu einem Aufschrei geführt. Aber der Boden, auf den die Botschaft fiel, könnte kaum unterschiedlicher sein. In den USA rütteln die Bilder am Selbstbild und an der Vorstellung, wie die eigene Armee agiert. Der Überraschungseffekt ist groß.
In der arabischen Welt bestätigen die Fotos dagegen alle Vorurteile, die von Amerika, den Amerikanern und der Besatzungsarmee ohnehin schon existieren. „Wir haben es schon immer gewusst“, war der erste arabische Reflex. Denn Artikel und Berichte über systematische Folter in den amerikanischen Gefängnissen im Irak kursierten in den arabischen Medien bereits seit langem. Berichte von amnesty international und dem Internationalen Roten Kreuz bestätigen, dass es sich dabei nicht um arabische Verschwörungstheorien handelte.
Dass die Bilder zu einer weiteren Radikalisierung in der arabischen Welt führen und für al-Qaida eine glänzende PR abgeben, die kein Bin-Laden-Video jemals ersetzen kann, ist der logische Schluss. Aber die Radikalisierung hat schon längst zuvor wegen des Palästinakonfliktes und des Irakkrieges eingesetzt. Den Glauben an die humane und freundliche Besatzung haben die Araber schon lange vor diesen Bildern verloren.
Da hilft es auch nicht, dass Bush, Rumsfeld und Blair jetzt öffentlich Asche über ihr Haupt streuen. Und auch die Militärtribunale gegen die inzwischen durch die Fotos überführten US-Soldaten dürften die Wogen kaum glätten. „Die beste Entschuldigung für die Bilder wäre ein schneller Rückzug der ausländischen Truppen aus dem Irak“, kommentiert eine arabische Tageszeitung. Und wenn schon verbal entschuldigen, fügt die Zeitung hinzu, dann sollte Bush das auch bei den eigenen Landsleuten tun – dafür, dass er durch den Irakkrieg das Image Amerikas in der arabischen Welt endgültig ruiniert hat.