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Archiv-Artikel

„Eingebettet? Nein“

James Nachtwey, US-Fotograf, arbeitete während des Irakkriegs in Bagdad. Ein Gespräch am Rande seiner Werkschau in Leipzig

Interview ANETT KELLER

taz.mag: Herr Nachtwey, lieben Sie Ihre Arbeit?

James Nachtwey: Meine Arbeit gibt meinem Leben einen Sinn. Ich denke, ich bin ganz gut in dem, was ich tue. Aber wenn Sie die Situationen betrachten, in denen ich meine Fotos mache … nein, ich würde es nicht Liebe nennen.

Sie haben während des Irakkriegs fotografiert. War das Ihre erste Erfahrung als „embedded journalist“?

„Eingebettet“? Ich war nicht „eingebettet“. Ich war schon in Bagdad, als die Stadt bombardiert wurde, bevor die Amerikaner in die Stadt kamen.

Viele Ihrer Kollegen waren jedoch „eingebettet“. Wie beurteilen Sie diese Praxis des amerikanischen Militärs?

Ich kann nur wiedergeben, was meine Kollegen mir erzählt haben. Sie konnten sich relativ frei bewegen. Es wurde ihnen nicht vorgeschrieben, wen und was sie zu fotografieren hatten. Man hat ihnen auch nicht verboten, die Tötung von Zivilisten durch US-Soldaten zu fotografieren. Auch amerikanische Tote und Verwundete durften sie fotografieren – die Fotos durften nur nicht veröffentlicht werden, bevor deren Familien informiert waren. Eine weitere Beschränkung ergab sich aus der Natur der Sache: Sie konnten nur da sein, wo die Gruppe war, mit der sie unterwegs waren. So konnten sie natürlich nicht an der Frontlinie herumfahren, wie sie wollten. Das wäre in meinen Augen aber auch sehr töricht gewesen.

Auch Ihre Fotos sind nicht zensiert worden?

Wir in Bagdad hatten eher mit den Restriktionen des anfangs noch an der Macht befindlichen Baath-Regimes zu kämpfen. Die hatten für Pressefreiheit gar nichts übrig. Obwohl die Journalisten dort waren, um zu dokumentieren, was dem irakischen Volk widerfuhr, wurden wir ständig behindert. Es war sehr schwierig, Bilder zu machen.

Als die US-Armee dann in Bagdad war, gab es keine Beschränkung dessen, was sie dokumentieren durften?

Nein, absolut nicht. Ich konnte überallhin.

Ihr Essay „A soldier’s life“ wurde im vergangenen Dezember im Time-Magazine veröffentlicht. Ein von Ihnen gemachtes Foto ziert die Ausgabe, in der der amerikanische Soldat zur „Person des Jahres“ gekürt wurde. Sie standen daraufhin in der Kritik, die „US-Boys“ zu verherrlichen und die irakischen Opfer zu vernachlässigen.

Es war mein Auftrag, einen Zug der amerikanischen Einheiten zu fotografieren. Ich konnte nur dokumentieren, was diese Soldaten taten. Sie haben keine Menschen zu Opfern gemacht. Da ist definitiv keine Glorifizierung. Schauen Sie sich die Bilder an, nichts daran ist glorreich. Was die Bilder zeigen, ist, wie schwierig es ist, als Soldat in einem zivilen Gebiet zu arbeiten, gegen einen Aufstand. Sie zeigen auch eine Menge Langeweile, das ereignislose Leben im Camp. Was ist daran glorreich? Es gibt ein Foto in dem Essay, wo Soldaten in ein Haus einfallen, in der Ecke eine verängstigte Frau mit ihrem Kind. Ich denke, es war ein faires Stück Arbeit. Wer sagt, ich produziere Propaganda, der behauptet bewusst Falsches – oder er kennt meine Arbeit nicht. Neulich hat mir jemand vorgeworfen, ich hätte US-Soldaten im Kosovo und in Afghanistan verherrlicht. Ich habe niemals amerikanische Soldaten dort fotografiert, weder im Kosovo noch in Afghanistan.

Sie fotografieren seit über zwanzig Jahren die Kriegsschauplätze dieser Welt. Haben Sie sich jemals von einer der Kriegsparteien benutzt gefühlt?

Möglicherweise hat die eine oder die andere Seite geglaubt, mich benutzen zu können. Doch was sie denken, ist deren Sache. Solange ich als Fotograf Zugang zum Ort des Geschehens habe und dort frei arbeiten kann, schere ich mich nicht darum, was sie denken. Ich habe immer meine eigenen Geschichten gemacht.

Diese Fotos von Toten, Verstümmelten, Verhungernden, Trauernden sind ein Archiv des Grauens. Sie sagen, was Sie antreibe, sei der Glaube, beim Betrachter etwas bewirken zu können. Was sollen Menschen tun, nachdem sie Ihre Fotos gesehen haben?

Ich möchte, dass sie in ihrem Innersten lebendig bleiben. Sie sollen die Gefühle zulassen, die diese Bilder bei ihnen auslösen. Ich hoffe zumindest, dass Menschen sich diesen Gefühlen nicht verweigern, sich bei meinen Bildern nicht einfach wegdrehen. Und dass sie dann darüber reden, was in unserer Welt passiert. Nur so kann irgendwann eine kritische Masse von Menschen mobilisiert werden. Wenn sie irgendwann eine entscheidende Größe der Wählerschaft annimmt, werden sich auch Politiker für ihre Meinung interessieren.

ANETT KELLER, 32, lebt als freie Journalistin in Leipzig