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Archiv-Artikel

Am Rande der Gesellschaft

Der FC Millwall steht heute gegen Manchester United im englischen FA-Cup-Final. In der Vergangenheit hat der Zweitligist freilich nicht durch sportliche Erfolge auf sich aufmerksam gemacht

AUS LONDON MALTE TREFFENFELDT

Wenn heute im Millenium Stadium in Cardiff das englische FA-Cup-Final angepfiffen wird, steht nicht nur die Startruppe von Manchester United, sondern mit dem Zweitligisten FC Millwall auch die vielleicht unbeliebteste Fußballmannschaft der Welt auf dem Platz. Es ist in London einfacher, einen Schlafanzug mit der Raute des deutschen Meisters Werder Bremen zu bekommen, als einen Fanschal von Millwall. Dafür muss man sich dann schon nach Südost-London begeben, nach South Bermondsey, der Heimat des Arbeiterclubs. Hier gibt es noch Straßenzüge, die stark an das düstere England aus den Zeiten eines Charles Dickens erinnern.

Der Verein wurde 1885 von Arbeitern einer Marmeladenfabrik als Millwall Rovers auf der Isle of Dogs gegründet, also eigentlich nördlich der Themse, dort wo heute das Londoner Prestigeobjekt schlechthin, die Docklands, stehen. Nach mehreren Umzügen fand man am gegenüberliegenden Themseufer in New Cross an der Cold Blow Lane ein Zuhause und taufte das Stadion „The Den“ – die Höhle. Inzwischen residiert man ein paar hundert Meter weiter, im modernen „ New Den“, allerdings in einer Gegend, die an frühere Bilder aus Beirut erinnert.

Die einzig nennenswerten sportlichen Höhepunkte in der Vereinsgeschichte waren bis dato ein zweijähriges Intermezzo in der Premier League in den Achtzigern sowie das Erreichen des Halbfinales im F. A. Cup, vergleichbar mit dem deutschen DFB-Pokal, in England jedoch renommierter ist als die Meisterschaft. Das war 1937. Und nun das Finale gegen Manchester United und somit automatisch die Teilnahme am Uefa-Cup.

Aber mit dem Namen Millwall FC verbindet man in England nur in zweiter Linie Siege oder Niederlagen der Mannschaft, sondern eher die Inkarnation des Hooliganismus. Nur wenige „Firmen“, wie sich die gewaltbereiten Anhänger der Vereine selbst nennen, haben einen vergleichbar üblen Ruf, vielleicht noch die Schlägertruppen von Premier-League-Absteiger Leeds United. Ursprünglich rekrutierte sich Millwalls Anhängerschaft aus dem Reservoir junger weißer Arbeiter und Arbeitsloser aus dem von der Stadtpolitik vernachlässigten Bezirk Southwark mit den südöstlichen Stadtteilen Deptford, Peckham, Bermondsey und Rotherhithe. Passend dazu spielte der Club einen schnörkellosen „kampfbetonten und wenig attraktiven, geschweige denn sonderlich erfolgreichen Kick-and-Rush-Fußball. Und hier entstand in den Siebzigern und Achtzigern der berüchtigtste Mob unter den britischen Hooligans. Der Autor Garry Robson kreierte in seinem im Jahre 2000 erschienenem Buch „The Myth and Reality of Millwall Fandom“ den Begriff „Millwallism“ als die ultimative Steigerung von „Hooliganism“.

Kein Wunder also, dass die Hymne „ No one likes us – we don’t care“, gesungen nach der Melodie von Rod Stewarts „Sailing“, alles ausdrückt, was einen Millwall-Anhänger ausmacht: am Rande der Gesellschaft, aber stolz darauf. Verbindet man mit anderen Vereinen legendäre Endspiele oder große Mannschaften, wird der FC Millwall stets nur im Zusammenhang mit Ausschreitungen, Platzsperren und Straßenschlachten genannt, zuletzt vor rund einem Jahr, als man in letzter Minute den möglichen Aufstieg gegen Birmingham City verspielte. Im Anschluss an die Krawalle rund um das Stadion wurden auf der offiziellen Homepage Fahndungsfotos der Rädelsführer veröffentlicht. Es stellte sich heraus, dass die meisten inzwischen längst nicht mehr aus den Stadtteilen rund um New Den kommen, sondern aus teilweise hunderte von Kilometern entfernten Städten.

Nun wollen die Lions, so werden die Spieler wegen des Löwen im Vereinswappen genannt, zum ersten Mal in ihrer fast 120-jährigen Geschichte sportliche Schlagzeilen schreiben, zumal nicht nur die Verantwortlichen um Chairman Theo Paphitis, sondern auch die Mehrheit der Fans das Stigma der asozialen Schlägertruppe nur zu gerne los werden wollen. Ob die fußballerischen Qualitäten des Underdogs ausreichen, um gegen den Topfavoriten Manchester United zu bestehen, muss bezweifelt werden. Schwerwiegender gilt jedoch der Umstand, dass das Spiel in der walisischen Hauptstadt Cardiff stattfindet. Denn die ausgesprochen zahlreichen und brutalen Hooligans des ansässigen Zweitligisten Cardiff City werden nichts unversucht lassen, um ihre Erzfeinde, die Anhänger von Millwall, zu attackieren. So ist zu befürchten, dass die Mannen um den Altinternationalen Dennis Wise spielen können, wie sie wollen, die Schlagzeilen werden wohl wieder den Schlachten außerhalb des Stadions gehören.