: „Fit durch das Draußensein“
Zur Fußball-Weltmeisterschaft der Obdachlosen, die nächste Woche mit 20 Nationalmannschaften in Graz stattfindet, reist auch ein deutsches Team. Ein Gespräch mit Trainer Reinhard Kellner
Interview JULIA GROSSE
In der kommenden Woche findet im Rahmen von „Graz 2003 – Kulturhauptstadt Europas“ der „Homeless Streetsoccer World Championship“ statt ( www.streetsoccer.org ). Ein Spiel dauert 2 x 7 Minuten, die 18 gemeldeten Mannschaften spielen nach alter Straßenfußballregel mit jeweils 3 Feldspielern und Tormann. Unterstützt wird das Turnier vom Internationalen Netzwerk der Straßenzeitungen (INSP). Die beteiligten Mannschaften sind: Brasilien, Dänemark, Deutschland, England, Holland, Irland, Italien, Österreich, Polen, Russland, Schottland, Schweden, Schweiz, Slowakei, Spanien, Südafrika, USA, Wales.
taz: Herr Kellner, Sie trainieren die deutsche Fußball-Nationalmannschaft. Wieso kennt Sie niemand?
Reinhard Kellner: Weil ich ja im Grunde kein richtiger Trainer bin, eher Fußballfreak. Und meine Spieler sind auch keine Profis, sondern Hobbykicker. Den Großteil meiner Zeit bin ich 1. Vorsitzender des Bundesverbandes sozialer Straßenzeitungen und Mitgründer des Donaustrudl, der Straßenzeitung in Regensburg.
Und wie haben Sie von der WM erfahren?
Irgendwann haben wir auf Bundesverbandsebene vom Weltverband INSP diese Ausschreibung zugeschickt bekommen. Jedes der 20 Länder sollte ein Team aus fußballbegeisterten Straßenzeitungsverkäufern bilden.
Wie haben Sie das deutsche Team zusammengestellt?
Unter den Verkäufern sind viele Fußballfreunde, und bei Erfahrungsaustausch-Treffen haben wir schon immer mal kleine Spiele veranstaltet. Ab November haben wir dann den ersten Aufruf unter allen deutschen Straßenzeitungen, die Verbandsmitglieder sind, gestartet. Immerhin 22 Zeitungen. Jetzt haben wir 9 Verkäufer aus Stuttgart, Hamburg, Freiburg, Regensburg.
Und wie genau verlief die Spielerauswahl?
Die Auswahl verlief recht formlos und jeder, der Lust hatte, ein paar Tage nach Graz zu fahren und dort Fußball zu spielen, konnte sich melden. Wären es zu viele geworden, hätten wir eben Lose gezogen. Es waren dann aber doch nur recht wenig Interessierte, weil eine Woche Urlaub, der es im Grunde ja ist, für die Verkäufer Kosten bedeutet. Wir als Bundesverband übernehmen zwar die Fahrtkosten und der Veranstalter die Übernachtung in speziell eingerichteten Camps, aber Freizeitbeschäftigungen, wie Schwimmen gehen, müssen die Spieler natürlich selbst bezahlen.
Und was ist mit dem DFB?
Den haben wir angeschrieben, und inzwischen hat uns die DFB-Stiftung Egidius Braun immerhin 1.500 Euro beigesteuert.
Stellt der DFB auch die Trikots?
Nein, die Hemden kommen von einem privaten Hemdenhersteller, die Hosen hat Greenpeace speziell für uns designt. Außerdem bekommen wir von denen sogar politisch korrekte Fußbälle, die nicht von Kindern hergestellt wurden. Was ja manchen Firmen unterstellt wird.
Das russische Team trainiert angeblich mindestens einmal täglich. Wie sieht die deutsche Vorbereitung aus?
Wir können gar nicht zusammen trainieren, weil die Spieler ja aus verschiedenen Städten kommen. Wir treffen uns am Abfahrtstag in Regensburg das erste Mal und werden dann unterwegs irgendwo an einer Autobahnraststätte anhalten und dort ein bisschen kicken. Mein Team ist fit. Das klingt komisch, aber die körperliche Abhärtung kommt bei den meisten nicht zuletzt auch durch das ständige Draußensein. Was aber nicht heißt, dass alle Straßenzeitungsverkäufer in Deutschland obdachlos sind. Die meisten sind „nur“ arbeitslos und nicht, wie viele meinen, auch gleich ohne feste Wohnung.
Gibt es eine Spieltaktik?
Die Brasilianer werden besser spielen als wir, die sind jünger, unter 30, und werden mehr trainieren. Und auch das Grazer Team wird sich als Veranstalter richtig gut vorbereiten. Wir werden unser Spiel also aus der Defensive aufbauen, etwas anderes macht für uns keinen Sinn. Doch wir haben einen überragenden Tormann und einen guten Stürmer. Ursprünglich haben wir ja versucht. Paul Breitner als Cheftrainer zu engagieren, doch der ist zu der Zeit im Urlaub. Dafür hat der ehemalige Nationalspieler Hans Dorfner unseren Regensburger Spielern drei Trainingseinheiten in seiner Fußballschule spendiert.
Und direkt den DFB um fachliche Unterstützung zu bitten, kam nicht in Frage?
Weniger, denn unsere Auffassungen von Fußball wären da wohl doch ziemlich unterschiedlich. Einem DFB-Mann geht es um Fußball, für uns ist diese WM eher eine Chance, neue Kontakte zu anderen, internationalen Zeitungen knüpfen zu können. Fußball ist da eher nur Mittel zum Zweck. Wir könnten genauso gut Handball oder Golf spielen.