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Archiv-Artikel

Ein Tag mit Bart

Der Bart ist ein Schmuckstück. Dunkelblond und fein geknüpft. Einen Tag lang will ich ihn tragen. Ganz ohne Cross-Gender-Hintergedanken. Bloß mal sehen, wie die Welt – und das haarige Selbst – reagieren. Doch ein Bart, das muss ich feststellen, macht eine Frau ziemlich einsam

VON KIRSTEN REINHARDT

Nein. Ich will nicht. Nicht heute. Das ist der erste Gedanke an diesem grauen Morgen, als der Baustellenlärm von gegenüber wieder eine Nacht vorzeitig beendet. Vom Schreibtisch aus schaut mich der Schnurrbart an. Er will raus. Ich nicht. Probeweise ziehe ich die Decke über den Kopf. Für so eine Geschichte muss man mutig sein. Es muss einem egal sein, was andere Menschen denken könnten. Wie Bob Dylan singen würde: „If the people don’t like me, they can leave me alone.“ Leider entspricht dieser gesunde Geisteszustand so gar nicht meiner morgendlichen Verfassung. Ich fühle mich verwundbar, beinahe durchsichtig. Ein einziger böser Blick eines Passanten würde mich heute tödlich verwundet zurücklassen.

Später. Der Schnurrbart liegt immer noch da. In seiner durchsichtigen Plastikdose sieht er aus wie ein kostbares Ausstellungsstück in der Museumsvitrine. Seine dunkelblonden Borsten knistern erwartungsvoll. Er ist jungfräulich, noch ohne Reste vom Hautkleber Mastix oder Rührei und hat noch nie ein Stück von der Welt da draußen gesehen.

Es ist ein schöner Bart. Fein gearbeitet mit einzelnen, sorgsam in ein Stückchen Netz geknüpften Härchen. Sehr elegant. „Er passt hervorragend zu Ihnen“, hatte die Verkäuferin im „Professional Make Up Center“ behauptet, nachdem Sie mir einige Exemplare in der Farbe meiner Augenbrauen herausgekramt und ins Gesicht gehalten hatte. Also folge ich dem stummen Ruf des Bartes. Weltflucht hat schließlich noch keinem – Arbeit dafür noch einigen geholfen, die es sonst auf der Welt nicht aushalten, wie bereits Dietmar Dath bemerkte.

Zuerst: Fingernägel lackieren. Eine Schutzschicht aus knallroter Nitrocellulose die zugleich einem allzu maskulinen Erscheinungsbild entgegenwirken soll. Schließlich will ich äußerlich nicht vollends zum Mann werden. Das Cross-Gender-Spiel nicht übertreiben. Bloß ich sein – nur mit Bart eben. Und mal sehen, wie die Umwelt auf so etwas reagiert. Also: anziehen. Jeans, abgelatschte Stiefel, ein Mantel. Der Bart frohlockt leise. Ich schneide ihn auseinander und stutzte ihn um einen Millimeter, damit er natürlicher wirkt. Oder hat jemand schon mal gesehen, dass der Schnurrbartwuchs in der kleinen Kerbe über der Oberlippe ebenso stark ist wie außen? Der Hautkleber riecht stechend und ist kalt, als ich ihn mir in einer Linie unter die Nase male. Bart drauf, festdrücken, Lage korrigieren, fertig. Voilà: die Frau mit dem Oberlippenbart. Ich pilgere eine Weile zwischen Badezimmer- und Flurspiegel hin und her, versuche zu lächeln und schneide ein paar Grimassen.

Wie machen Männer das bloß?

Mittlerweile ist es Samstagmittag. Eine perfekte Zeit, um auf der Kastanienallee – auch Castingallee genannt – zu flanieren. Die hier ansässigen Berliner Berufsjugendlichen werden langsam aufgestanden sein und sich ihren ersten Milchkaffee holen. Zum Mitnehmen ins Schlussverkauf-Gefeilsche oder zum Verweilen hinter den Panoramaschaufenstern der Cafés. Ist ja Wochenende.

Die ersten Menschen, die mir entgegenkommen, zeigen wenig Reaktion auf meine Haarigkeit. Gar keine, genau genommen. Das ist wohl Berlin-Mitte, hier gibt man sich abgeklärt. Ich aber frage mich im Stillen: Sehe ich garstig aus? Wie das arme Opfer einer hormonell bedingten Haarwuchsstörung? In den Gesichtern der mir Entgegenkommenden lese ich: gar nichts. Da muss Augenkontakt her, beschließe ich, und betrete das nächste Lokal.

Ich bestelle Pizzastückchen, versuche trotz des die Mimik verklebenden Bartes ein Lächeln und bezahle. Keine gehobene Braue, keine gezuckte Wimper. Das gesamte Lokal beschließt offenbar so zu tun, als hätte ich keinen Bart über meiner Oberlippe kleben. Allein zwei kleine Mädchen linsen verstohlen herüber, weichen meinem Blick aber sofort aus, als ich zurückschaue. Mir wird ein wenig einsam zumute. Doch der beim Essen unangenehm pieksende Bart lenkt ab: Nach jedem Bissen zuckt die Hand nach oben, will den Schnauzer mit der Serviette abtupfen. Außerdem läuft mir die Nase, vom Temperaturunterschied zu draußen. Wie machen die Männer das bloß?

Da fällt mir ein Bekannter ein, dem ich neulich beim Kaffee von der Bart-Idee erzählt hatte. Er verzog, allein durch die Idee, eine Frau mit Schnurrbart zu sehen, sein Gesicht zu einer bizarren Ekel-und-Entsetzen-Grimasse. Die begegnet mir, zurück auf der Straße, nun wieder, allerdings auf dem Gesicht eines mir fremden, leicht derangiert wirkenden jungen Herrn. Mit lauter, eigenartig heller Stimme lispelt er über die ganze Kastanienallee: „Du hast da Haare!“, hält einen Passanten am Ärmel fest und zeigt auf mich, „Guck mal, die hat da Haare! „Das ist so hässlich!“ Wow, denke ich. „Warum machst du das? Bist du lesbisch?“, geht es weiter. Ich versuche zu erklären, dass ich ein Experiment durchführe, doch die Tirade geht weiter: „Du bist so hässlich! Das ist nicht beleidigend gemeint, nur ehrlich.“ Ich weiß nicht, was für ein Experiment er durchführt. Er verfolgt mich noch ein paar Meter, nicht ohne jeden Vorbeikommenden auf meinen Bart hinzuweisen, um sich dann an die Fersen seines nächsten Opfers, eine Frau mit langen Haaren und riesigen Ohrringen, zu heften.

Und dann bemerke ich sie plötzlich: verstohlene Augenaufschläge, irritierte Blicke, die sich wie in Zeitlupe meinem Gesicht nähern und dann, sobald sich die Besitzer dieser Augen ihrer guten Erziehung besonnen haben, schnell wegschauen. Jetzt habe ich einen Frisörtermin. Ein echtes Wagnis, hatte ich mir gedacht, sich mit falschem Haar im Gesicht das Haupthaar schneiden zu lassen. Auch im Frisörsalon richten sich alle Augenpaare stumm auf mich. Und schnell tauchen sie wieder in ihre Zeitschriften, die Haarspitzen, die Spiegel ein. Doch spüre ich die skeptische Ablehnung, wie ein unsichtbarer Mantel legt sie sich um mich und trennt mich von den anderen, den „Normalen“. So muss sich ein Aussätziger fühlen. Einer mit Hasenscharte oder einer auffälligen Narbe im Gesicht. Kein gutes Gefühl.

Die Leute glotzen ausgiebig

Meine Friseuse ist verschwenderisch tätowiert, trägt ein stolzes Dekolleté vor sich her und eine Haarpracht in gefärbtem Gelbblond. „Schicker Bart“, sagt sie, mich zum Stuhl geleitend, und ich möchte ihr um den Hals fallen. Die zuvor drückend-unbequeme Stimmung im ganzen Laden hebt sich mit dieser Aussage um einige hundert Kilo. „Warum trägst du den?“ Meine Antwort erleichtert die Anwesenden um weitere Zentner. Ein verstörender Anblick, sie seien ja schon alle sehr irritiert gewesen, als ich hereinkam, gesteht eine Kollegin erleichtert. Ich fühle mich schwach. Hätte ich nicht vielmehr sagen sollen, ich trüge immer Bart, das sei eben mein Stil? Die Antwort verweigern? Oder einfach behaupten: „I just like to be a dyke!“ Mist. Immerhin: Die Haare werden entgegen meiner Befürchtung auch nicht zu kampflesbisch geschnitten, vielmehr bekomme ich eine wunderbar weich konturierte Jean-Seberg-Frisur. Danke.

Die nächste Station ist Neukölln. Da ist die Schnurrbartdichte aufgrund der dort noch nicht gänzlich weggentrifizierten Urbevölkerung höher als in Mitte und ich hoffe, auf mehr Verständnis zu stoßen. Verschmelzen mit der Masse, das wäre was. Doch schon auf dem Weg in Berlins neuen Mode-Problembezirk sind die Blicke intensiver – und aggressiver. Die S-Bahn-Fahrt wird zur Zirkusnummer. Hier haben die Leute Zeit zum Glotzen und sie tun es auch. Ausgiebig. Vielleicht sollte ich Geld verlangen. Pubertierende Mädchengruppen in bauchfreien Tops brechen in Kichersalven aus. Aufgebrachte Kinder rennen mir auf dem Bahnsteig nach und überholen mich, um meinem Bart erneut entgegenzukommen. Und ihrerseits ebenfalls mit einem haarigen Prachtexemplar unter der Nase ausgestattete Männer legen filmreife Double-Takes hin: Erster flüchtiger Blick im Vorbeigehen, Innehalten, ungläubiges Rekapitulieren und ein erneuter Blick, diesmal unverhohlen starrend.

Na, wunderbar. Die Schutzschicht bröckelt unaufhaltsam, langsam helfen weder knallroter Nagellack noch schnelles, aufrechtes Gehen. Jetzt steht noch ein Kindergeburtstag an. Meinen Plan, unschuldige Minderjährige in erschrockenes Weinen ausbrechen zu lassen, gebe ich allerdings auf. In dem Moment, als ich die sichere Wohnung betrete. Ich bin erschöpft, völlig erledigt. Will nicht mehr aussätzig sein, nicht mehr anders und – allein.

Epilog: Jetzt liegt der Bart wieder in seiner durchsichtigen Plastikdose. Mit Spuren von Hautkleber daran und ein bisschen derangiert. Aber er hat etwas gesehen von der Welt. Fürs Erste muss das reichen.