: Barrierefreiheit nur symbolisch
Nordrhein-Westfalens Gleichstellungsgesetz soll die Rechte behinderter Menschen stärken – doch Behindertenverbände sind enttäuscht: Sie kritisieren das neue Gesetz als völlig unzureichend
VON NATALIE WIESMANN
Es sollte ein Paradigmenwechsel in der nordrhein-westfälischen Behindertenpolitik werden, doch das Gesetz dazu ist auf halbem Weg stehen geblieben: Scharf kritisieren Behindertenvertreter das „Gesetz zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen“, das Anfang des Jahres in Kraft getreten ist.
Neu ist unter anderem die Einführung von Stimmzettelschablonen für Blinde, barrierefreie Internetseiten und die Bereitstellung eines Gebärdendolmetschers bei Verwaltungsverfahren. Ein Verbandsklagerecht wurde eingeführt, in Bau und Verkehr müssen künftige Vorhaben behindertengerecht sein.
Die neue Landesbehindertenbeauftragte Regina Schmidt-Zadel bezeichnet das Gesetz als „Paradigmenwechsel“(siehe Interview unten), doch Behindertenvertreter sind enttäuscht: „Viele unserer Forderungen sind nicht berücksichtigt worden“, sagt Daniel Kreutz vom NRW-Ableger des Sozialverbands Deutschland. So sei der gesamte Bildungsbereich aus dem Gesetz ausgeklammert worden. „Wir verstehen unter Barrierefreiheit in der Schule nicht nur die Rollstuhlrampen.“ Stattdessen müsse der Bereich des integrativen Unterrichts ins neue Schulgesetz implementiert werden. Dort solle auch darüber nachgedacht werden, jeden Kreis dazu zu verpflichten, mindestens eine integrative Klasse in einer einführenden Schule einzurichten. Kreutz findet selbst dies unzureichend, auch weil der integrative Unterricht nach der Sekundarstufe 1 beendet sei. „Es gibt kein Land in Europa, das so viele Kinder auf Sonderschulen schickt, wie Deutschland“, klagt er.
Ein Absatz im neuen Gesetz ärgert die Behindertenverbände besonders: Zwischen den Behindertenverbänden und dem öffentlichen Sektor sollen Zielvereinbarungen getroffen werden. „Auf Bundesebene wurde eine solche Vereinbarung nur für die freie Wirtschaft getroffen“, sagt Kreutz. Was dazu führe, dass gerade in diesem Bereich nichts passiere. „Das Gesetz war von Hoffnungen begleitet, die nicht alle erfüllt wurden“, bestätigt Horst Ladenberger, Leiter des Zentrums für selbstbestimmtes Leben in Köln. Das Landesgesetz sei weicher als das Bundesgesetz. Dem widerspricht das NRW-Sozialministerium: „Das Landesgesetz steht den Bestimmungen des Bundes in nichts nach“, sagt Sprecher Kai von Schoenebeck.
Mit der Person der Behindertenbeauftragten Regina Schmidt-Zadel, die auf Vorschlag der Sozialministerin Birgit Fischer (SPD) heute ihr Amt antritt, scheinen hingegen auch die Behindertenvertreter zufrieden zu sein. Ladeberger hätte sich zwar „eher eine oder einen Behinderten als Beauftragten gewünscht“ – „aber Schmidt-Zadel hat viel Wissen und auch entsprechende Kontakte“, so Ladenberger. Kreutz kritisiert dagegen, der Behindertenbeauftragten hätten mehr Kompetenzen übertragen werden müssen – Das Gesetz weise ihr eine Beratungsfunktion zu, jedoch kein Vetorecht: „Frau Schmidt-Zadel hat ein riesiges Aufgabenfeld, aber so gut wie keine Instrumente, um einzugreifen“.