: Unter Männernorm
Geld, Zeit, Macht, Freiheit: Die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern wächst wieder. Für die rot-grüne Bundesregierung ist Frauenpolitik nicht von großer Bedeutung
Eine „starke“ Frau haben wir als Frauenministerin – nur ist ihr politisches Profil noch schwächer als das ihrer Vorgängerin. Vom Einsatz für Kinderbetreuung abgesehen scheint sie nicht zu wissen, was sie will. Von allgemeiner Bedeutung scheint Frauenpolitik heute nicht zu sein. Renate Schmidt ist das Symbol für aussagekräftige Paradoxien – und für ein spezifisches politisches Versagen dieser Regierung.
Der „frauenpolitische“ Sinn des rot-grünen Projekts erschließt sich weniger über das Kapitel Frauenpolitik im Koalitionsvertrag als die Verortung des Themas im Kontext der Regierungspolitik. Die Regierungspolitik darf überraschenderweise nämlich als bereits „gegendert“ gelten, wenn auch auf eine unausgewiesene Weise.
Rot-Grün verdankt seinen Wahlsieg zweimal dem relativen Mehr an weiblichen Stimmen. Vom „großen Aufbruch für Frauen“, vom „gesellschaftlichen Reformprojekt“ war die Rede. Davon war wenig zu bemerken. Es gab einige Erleichterungen für den Alltag wie das Recht auf Teilzeitarbeit für Eltern, ein bisschen mehr Kindergeld oder eine Väterkampagne. Daneben aber ist eine andere Normalität regierungsamtlich geworden. Unter dem Stichwort „Frau“ reden wir wie einst über Kinder, Familie und zusätzlich auch mal über „Sensibilität“ für „Geschlechterunterschiede“. Die Themen sind richtig, doch schließt diese Politik die Veränderung der bisherigen Ordnung von Mann, Wirtschaft und Gesellschaft aus. Fraueninteressen gelten als Partikularinteressen, Hauptsache ist das Wirtschaftsgemeinwohl unter Obhut des ersten Mannes. Im Begriff und Begreifen von Wirtschaft sind „Wirtschaftlichkeit“ und „Männlichkeit“ symbolisch eisern verbunden. Noch nie waren deshalb so viel Frauen in der Regierung zugleich politisch-feministisch so einflusslos.
Während Gleichberechtigung als immer selbstverständlicher gilt, entfernt sich die Wirklichkeit erneut von ihr. Die noch nicht überwundene Ungleichheit zwischen den Geschlechtern in den Quantitäten und Qualitäten an Geld, Zeit, Macht und Freiheit wächst wieder. Dies geschieht nicht etwa auf dem Wege der Zurücknahme von Rechten für Frauen, sondern quasi über das Weglaufen der „sonstigen“ sozialen Realitäten vor ihnen. Die Schere zwischen den beiden Polen, die die traditionellen geschlechtlichen Entwürfe und Sozialstrukturen symbolisieren, geht auseinander: zwischen der bezahlten und der unbezahlten, der öffentlichen und der privaten Arbeit, zwischen der extrem schnellen Börsenzeit und der extrem langsamen und aufwändigen Arbeit am Menschen, zwischen den Gewinnen aus Technisierung und den Verlusten beim Sozialkapital, zwischen Herrschaftsausübung und der sozialen (Re-)Produktion beziehungsweise der Herstellung von Soziabilität der Gesellschaft. Dabei neigt sich die Schieflage zwischen „männlichen“ und „weiblichen“ Gewichten zulasten Letzterer. Das tritt allmählich auch an die Oberfläche, etwa im jüngsten Rückgang von Frauen in Führungspositionen in den USA, in der politischen Partizipation jüngerer Frauen, an den Universitäten und im ungleichen Zuwachs an Belastungen. Die Abhängigkeiten sind dabei nicht mehr unbedingt personaler Art.
Die Quellen der Ungleichheiten sind strukturell, kulturell und inhaltlich bedingt, eingeschrieben in die Abstraktionen, unter denen moderne Gesellschaft funktioniert. Sie treffen immer öfter auch Männer.
Mit dem Mittel formeller Gleichstellung ist dem nicht mehr beizukommen. Weil Frauen weder wie der Mann Erwerbsarbeiten noch ihre herkömmlichen Arbeiten wie bisher erfüllen können, musste die Regierung ausgleichen. Sie tat es mit den Mitteln des sozialdemokratisch männlich normierten Staates, bei Kassensperre ausnahmsweise mit Geldgeschenken – ohne Erfolg: Kleine arbeitszeitrechtliche Korrekturen ändern nicht viel am grundsätzlichen Dilemma der mit den steigenden Leistungsnormen eher noch zunehmenden Unvereinbarkeit von Beruf und Familie. Auch täuschten die wenigen eisigen Frauenkarrieren nicht über die vielen Nichtkarrieren und wachsende Erwerbslosigkeit hinweg. Materiell zu verteilen hat die Regierung beim Kindergeld ohnehin nichts Wesentliches. Dennoch, das Versprechen auf einen kleinen Rückzugsort – ein Familienleben und Kinder, die Beruf nicht ganz ausschließen – half. Dies aufrechtzuerhalten wurde zum großen Projekt der zweiten Amtszeit Schröders.
Dieses Versprechen aber wird die Regierung brechen. Eine Hartz-Reform unter Männernorm lässt nicht einmal aus deren eigenen guten Ansätzen etwas werden. Da sie gegenüber Lebenslagen nicht mehr differenziert und stützende Infrastruktur auflöst, filtert sie Frauen erneut aus. Unter der Hand wird sogar der Grundsatz eigenständiger Existenzsicherung aufgegeben. Wo nun unter dem Verdikt „nicht finanzierbar“ allenthalben zurückgefahren wird, bekommen Frauen nicht nur nichts mehr dazu. Ihre Ansprüche auf normale Integration werden glatt abgeschnitten.
Diese Regierung suggeriert, die Lösung des Problems läge darin, die Lasten alter Sozialstrukturen schlicht zu privatisieren, ohne alternative integrationsfähige Strukturen zu schaffen. Neue Qualitäten über das Sparen herzustellen – durch andere Wertentscheidungen und demokratische Machtverteilung, die nicht nur viel wirksamer sind, sondern auch erst einmal kein Geld kosten, mittel- und langfristig aber hohen Nutzen abwerfen. Das überfordert diese Links-Regierung. Frauen bilden Notstopfen und ökonomische Ressource – ausgeblendet bleibt ein neues Verhältnis zwischen Sozial- und Geldkapital, ein soziales Bürgerrecht für den Notfall, ein neuer rechtlicher Pakt auf hälftige Eigenständigkeit und Fürsorge unter Bürgern, ein neues Regime von lebenslanger Arbeit, Zeitverfügung und Lebensweise. Dies ist Ressourcenverschleuderung, sichert aber männliche Vorherrschaft.
Dem entspricht die Machtverteilung: Erfreulich viele Ministerinnen sind die Oberfläche, der die Richtlinienkompetenz des Kanzlers und eine klassisch geschlechtsspezische und hierarchische Arbeitsteilung in verschärfter Weise gegenüberstehen. Strukturell sind die von Frauen geleiteten Ministerien von den klassischen „Männerministerien“ abhängig, und sie beschäftigen sich nicht selten mit den Folgen des Versagens der Ersteren. Es wimmelt vor männlichen Alphatieren und, notfalls mit zusammengebissenen Zähnen, freundlichen Damen. Die weibliche Hauptrolle und einziges Gegenstück spielt dabei die Familienministerin. Gleichberechtigungs- und Gendervokabeln liefern Legitimation, aber ihre inhaltliche Implikation und heimliche Prämisse lautet: Gleichberechtigung ist ganz allgemein nicht vorgesehen.
Umso schärfer wird sich die Frage stellen, wie viel die „Humanressource“, der Mensch, im Kapitalismus kosten darf, wie viel Demokratie dieser braucht und wie es wohl zu einer demokratischen Gestaltung von Abhängigkeit zwischen Menschen kommen kann. MECHTILD JANSEN