piwik no script img

Archiv-Artikel

Senat wirbelt Staub auf

Gemeinsam mit Baden-Württemberg will Berlin die EU-Richtlinie zu Feinstaub im Bundesrat kippen. Umweltschützer sind empört. Denn der Staub enthält auch Krebs erregenden Ruß aus Dieselmotoren

VON THORSTEN DENKLER

Um niedrigere Grenzwerte für Feinstaub in der Luft zu verhindern, schreckt der rot-rot geführte Senat nicht vor einem Pakt mit Teufel zurück. Gemeinsam mit dem CDU/FDP-geführten Land Baden-Württemberg unter Ministerpräsident Erwin Teufel hat er dazu einen Entschließungsantrag in den Bundesrat eingebracht. Dieser fordert die Bundesregierung auf, die erstmals eingeführten europäischen Feinstaub-Richtwerte (PM10) in Brüssel überprüfen zu lassen. Der Antrag wird voraussichtlich morgen im Bundesrat mehrheitlich verabschiedet werden.

Die von der EU geforderten neuen Feinstaub-Richtwerte legen fest, dass deren Anteil ab 2005 nur an 35 Tagen im Jahr den Wert von 50 Mikrogramm je Kubikmeter Luft überschreiten darf. Berlin überschreitet diesen Wert regelmäßig. Technisch nicht einzuhalten, kritisieren daher die Fachleute beider Landesregierungen die EU-Vorgabe. Bernd Lehming, Referatsleiter Umwelt in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, sagte der taz, es gebe keine Untersuchung, die belegen könne, dass kurzfristige Grenzwertüberschreitungen sich messbar auf die Gesundheit auswirkten. „Der Wert ist viel zu scharf“, sagte Lehming. In Baden-Württemberg wird das ähnlich gesehen. Berlin habe sich deshalb als Partner für einen gemeinsamen Entschließungsantrag angeboten, heißt es dort.

Martin Schlegel, Verkehrsexperte im Berliner Landesverband des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND), hält die Argumention für fragwürdig: „Zu sagen, die Grenzwerte sind zu scharf, bevor es erste Erfahrungen damit gibt, ist verfrüht.“ Den Ländern sei offenbar „nicht die Luft zu schlecht“, die Grenzwerte seien ihnen zu hoch.

Berlin überschreitet die Grenzwerte an einigen Stellen um das Zwei- bis Dreifache. Den angestrebten Jahresmittelwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter kann die Stadt gerade noch einhalten. Das maximale Tagesmittel von 50 Mikrogramm aber wurde bei Messungen im Jahr 2002 allein an der Frankfurter Allee 59-mal übertroffen.

Feinstaub enthält ähnlich viele Stoffe wie der Staub unterm häuslichen Sofa. Auf die Konzentration haben die Kommunen wenig Einfluss. Weht eine Brise aus dem Norden, können etwa Meersalzkristalle die Feinstaubdichte vergrößern. Aber auch der erwiesenermaßen Krebs erregende Ruß aus Dieselmotoren ist enthalten. Neue Filter für Autos und Kleinlaster könnten helfen. Die Bundesregierung wird deshalb in der Entschließung aufgefordert, die neue Technik mit Steueranreizen zu fördern.

Der BUND-Experte sagt, rund die Hälfte des Feinstaubs sei hausgemacht. Dazu gehören Diesel-, Industrieabgase und der Abrieb von Autoreifen. Die Frankfurter Allee wird seit einiger Zeit in Trockenperioden täglich zweimal bewässert, um den Staub zu binden. Die Senatsverwaltung hofft, die Belastung so zu verringern. Ein erheblicher Teil des Staubs wird von brandenburgischen Äckern und aus Industrieregionen Osteuropas importiert.

Welche Strafe Kommunen droht, die die Grenzwerte nicht einhalten, ist nicht bekannt. Derzeit müssen Städte dann einen Lufreinhalteplan vorlegen, der die Quellen der Verunreinigung benennt und Wege skizziert, wie die Werte abgebaut werden können. Für Berlin wird so ein Plan im Herbst erwartet.

Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) hat bereits angedeutet, dem Ansinnen der Länder nicht nachzukommen. Das kann er. Die EU verhandelt über derartige Fragen ausschließlich mit dem Bund.