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Archiv-Artikel

Ein Störenfried des Common Sense

„Kisses from New York“ im Martin-Gropius-Bau zeigt Cover-Illustrationen, die Art Spiegelman für das Magazin „New Yorker“ gezeichnet hat

Comics passen nicht in ein Museum, jedenfalls nicht in eines wie den Martin-Gropius-Bau, diesen neoklassizistischen Klotz, denkt man zunächst. Doch fallen einem dann die „Maus“-Comics ein, in denen Art Spiegelman die Holocaust-Erlebnisse seiner Eltern als Tiergeschichte mit Mäusen und Katzen erzählt, und dieser ernste, preußische Ort erscheint plötzlich gar nicht mehr so unpassend für eine Art-Spiegelman-Ausstellung. Indem er für „Maus“ die Gesichter seiner Comicfiguren vereinheitlicht darstellte, wurden Opfer und Täter nicht individuell, sondern aus distanzierter Sicht als Stellvertreter eines durch und durch gesellschaftlichen Debakels gezeigt.

Art Spiegelman ist ein exzellenter, politisch scharfsinniger Beobachter. Auch in den Cover-Illustrationen, die er für das Magazin The New Yorker anfertigte und die jetzt in der Ausstellung „Kisses from New York“ im Martin-Gropius-Bau zu sehen sind, zeigt er, welche Schlagkraft plakative Agitprop entwickelt, wenn er das Bilderarsenal des quietschvergnügten Comics mit der Kritik an Ideologie und Lifestyle versetzt.

Die Ausstellung ist ein Auswahl provokanter, ironischer Arbeiten, die aktuelle Ereignisse und Tendenzen in der US-Kultur kommentieren. Darunter, anlässlich des Muttertages, „Lunch break“, eine im Stil realistischer Malerei gehaltene Bauarbeiterin, die auf dem Gerüst sitzt und ihr Baby stillt. Auch zum Muttertag: ein kleiner Junge im Tattoostudio, der sich vom glatzköpfigen Tätowierer ein Herz mit der Aufschrift „Mom“ auf die Kinderbrust stechen lässt.

Aufschlussreich und oft unterhaltsam sind Spiegelmans Notizen zu den Arbeiten, Erläuterungen zu den Ereignissen, auf die er sich bezieht, und zu den erbosten Angriffen, denen er sich aussetzen musste. Nicht selten wurden seine Entwürfe von der durchaus debattenfreudigen Redaktion aus Gründen der Political Correctness abgelehnt. Nicht so das skandalträchtige Bild zum Valentinstag 1993, das eine schwarze Frau und einen orthodoxen Juden als küssendes Pärchen zeigt. Vor dem Hintergrund schwelender Unruhen zwischen Afroamerikanern und jüdischen Chassidim in New York behauptet Spiegelman hier die Utopie der Grenzüberschreitung.

Eines der Titelbilder, „Ground Zero“, berührt besonders. Schwarz auf schwarz ist das Cover gehalten, erst bei genauem Hinschauen heben sich die Türme des World Trade Centers von ihrem Hintergrund ab. Erschienen ist das Bild auf dem Cover des New Yorker im September 2001, als unmittelbare Reaktion auf den Einsturz des WTC. Der Künstler hat es den mehr als dreitausend Opfern des terroristischen Anschlags gewidmet. Spiegelman bezeichnet den 11. September als „seine Katastrophe“: Seine Tochter Nadja besuchte seit kurzem eine Schule in der Nähe des Südturms. Am Tag des Anschlag liefen Spiegelman und seine Frau zum Ground Zero, um die Tochter zu suchen. Sie fanden sie unversehrt.

Lange Jahre galt der heute 55-jährige Art Spiegelman als Störenfried des Common Sense. Nach dem Kunststudium entwickelte er Logos für Kaugummimarken und zeichnete für Underground-Magazine wie Real Pulp und Bizarre Sex. Später gab er das stilprägende Magazin RAW heraus, das vor allem nach den künstlerischen Aspekten der Comickultur suchte und für so unterschiedliche Zeichner wie Mark Beyer, Charles Burns oder Dan Clowes eine Plattform wurde. Zugleich bemühte sich Spiegelman, unterstützt von seiner Frau Francoise Mouly, um den Auftritt europäischer Comic-Talente in Amerika, was unter anderem Jacques Tardi zum internationalen Durchbruch verhalf. Für seine „Maus“-Comics erhielt er den Pulitzer-Preis, als erster und bisher einziger Comic-Künstler. JANA SITTNICK

Bis 17. 9., Mi.–Mo. 10–20 Uhr, am 26. 8., 18 Uhr, im dortigen Kinosaal Gespräch mit Spiegelman. Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstr. 7, Kreuzberg