: Die Vorkämpfer für Demokratie leben in der Eifel
Mit dem Bollerwagen wird in Strempt für das Referendum über die EU-Verfassung geworben. Denn in dem Eifeldorf wird am Sonntag nicht nur das Europaparlament gewählt, sondern auch zugleich über den EU-Verfassungsentwurf abgestimmt – zwar nur symbolisch, das aber mit Überzeugung
Von Claudia Lehnen
Am Ortseingang steht ein Messgerät, das dem Autofahrer zeigt, wie schnell er ist. „Sie fahren 50“, steht da in digitaler Schrift. Wer sich an die Höchstgeschwindigkeit hält, braucht exakt zwei Minuten und 34 Sekunden, um den Ort komplett zu durchfahren. Strempt ist ein Tausend-Seelen-Dorf in der Eifel südwestlich von Köln, in dem es einen Bahnübergang gibt, eine stickige Gaststätte, rund 350 Einfamilienhäuser. Aber keinen Laden, keine Schule.
In diesen Tagen gibt es dafür viele Autos mit auswärtigem Kennzeichen. Fremde mit Notizblöcken, Kopfhörern an den Ohren und schwarzen Kästen auf den Schultern streifen durch das Dorf – professionelle Neugierde treibt Vertreter der Presse neuerdings nach Strempt. Denn am Sonntag, dem Tag der Europawahl, werden die Strempter die einzigen Deutschen sein, die über die EU-Verfassung abstimmen. Symbolisch, „als ein Dorf, das es dem ganzen Land vormacht, wie es eigentlich sein müsste“, sagt Daniel Schily, NRW-Landesgeschäftsführer von „Mehr Demokratie“, jenem Verein, der sich für ein bundesweites Referendum zur EU-Verfassung einsetzt. Anders als in Dänemark, Irland, Spanien, Portugal, Tschechien, den Niederlanden, Luxemburg und Großbritannien ist in Deutschland keine Volksabstimmung geplant. In Strempt wollen die Bürger trotzdem ihre Kreuzchen machen. Auch wenn sie niemand danach gefragt hat.
Ortsvorsteher Wulf-Dietrich Simon und Daniel Schily rattern mit einem Bollerwagen voller Broschüren durch das Dorf. Schily findet, dass sich Strempt gut eigne: Im Dorf gebe es eine starke „Mehr-Demokratie“-Gruppe. Weil man zu Euskirchen gehört, trägt jedes Auto das Kennzeichen „EU“. Und nicht zuletzt seien die Eifler ja bekannt als „kleines, listiges Bergvolk“, das tapfer dagegen Widerstand leiste, dass alles über seinen Kopf hinweg entschieden werde.
Alfred Pieper, pensionierter Soldat im Ruhestand, hat seine Hausaufgaben schon gemacht. Er hat viel gelesen über den Verfassungsentwurf, und er hat auch schon „politische Fehler“ entdeckt. „Der Ausdruck, dass die Verfassung einen Staat voraussetzt, ist schlicht falsch“, sagt er zu Simon, der ihm von der Straße sein bittendes Lächeln und einen Verfassungskommentar hinaufreicht. Pieper steht erhöht auf den Treppenstufen vor seinem Haus, breitbeinig und in Jogginghosen. Er sieht abwartend auf Bollerwagen, Schily und Simon. Dann gibt er sich einen Ruck und holt sich neuen Lesestoff. „Naja, das fällt nicht jedem auf“, gibt er sich großzügig. „Es gibt in Deutschland so viele unmündige Bürger, dass wir hier in Strempt mit so was beginnen müssen“, sagt er noch und verharrt auf der Treppe, bis Bollerwagen, Simon und Schily von einer Hecke verschluckt werden.
Ein paar Männer in Sportjacken laufen dem Journalistentross nach, Autos bleiben stehen, Rentner wollen unbedingt loswerden, was sie so alles wissen über Europa. Selbst in der Dorfkneipe am Rochusplatz stapeln sich Verfassungen auf dem Tresen. Wie die Abstimmung am Sonntag ausgeht, das wagt keiner vorher zu sagen. Hans-Peter Schick, Bürgermeister der Gemeinde Mechenich, zu der auch Strempt gehört, war anfangs skeptisch. „Ich hatte Angst, dass viele gegen die Verfassung stimmen würde. Manche haben die Furcht, dass uns die Polen die Arbeit wegnehmen. Dann würde man überall lesen, Strempt sei antieuropäisch.“ Der Polizist Markus Vellen wird gegen die EU-Verfassung stimmen. Erst müsse die Sache mit der Zuwanderung geklärt werden. Irgendwann könne man sich auch an eine gemeinsame Verfassung machen.
Einen Erfolg haben die Strempter aber schon erzielt: Auf einer Podiumsdiskussion in dem Eifel-Ort haben sich Alexander Graf Lambsdorff, Gabi Zimmer, Dieter Wiefelspütz, Armin Laschet und Anna Lührmann – also Vertreter aller im Bundestag vertretenen Parteien – für ein bundesweites Referendum über die EU-Verfassung ausgesprochen.