: Grüne: SPD pflegt die Pflege nicht genug
SPD zögert schon beim Minimalprgramm – Grüne fordern umfassenden Umbau der Pflegeversicherung. Demenz soll berücksichtigt, Pflegende sollen entlastet werden. Und jeder soll Geld für Pflegebedürftigkeit im Alter ansparen
BERLIN taz ■ Nein, um einen Krach handle es sich nicht. „Aber irgendwo ist einmal der Punkt erreicht, an dem die Glaubwürdigkeit in Frage steht“, erklärte die grüne Pflegepolitikerin Petra Selg. Also doch Krach: Die Grünen wollen es nicht zulassen, dass die SPD die notwendige Reform der Pflegeversicherung auf ein Minimalprogramm beschränkt. Die „Deckmäntelchen-Politik“ der SPD wolle sie nicht mehr mitmachen, sagt Selg. Und die Unterstützung der Fraktionsspitze habe sie auch.
Das Sozialministerium will voraussichtlich nach der Sommerpause einen Gesetzentwurf vorlegen, laut dem Kinderlose über 23 Jahre einen höheren Beitrag zur Pflegeversicherung zahlen sollen. Bislang beträgt der Arbeitnehmeranteil 0,85 Prozent vom Bruttolohn. Er stiege vermutlich um 0,1 oder 0,2 Prozent. Damit soll ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts umgesetzt werden, wonach ab 2005 Eltern in der Pflegeversicherung besser gestellt werden müssen.
Die Grünen jedoch fordern, zum Ursprungsplan der Koalition zurückzukehren, die Pflegeversicherung im Jahr zehn nach ihrer Einführung an die Erfordernisse der Zukunft anzupassen. Die Reserven der Pflegekassen sind spätestens 2006 verbraucht. Der Anteil der Sozialhilfeempfänger in den Pflegeheimen steigt wieder. Die Prognosen sagen, dass der Anteil Pflegebedürftiger an der Bevölkerung rasch zunehmen wird.
All diese Erkenntnisse sind in den Parteien unumstritten. Erst vor wenigen Tagen hat auch die Bundesregierung in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Unionsfraktion bestätigt, dass es „gilt, die Pflegeversicherung unter Berücksichtigung der demografischen Herausforderungen finanziell verantwortbar weiterzuentwickeln“. Gleichwohl hat der Kanzler aus Angst vor schlechter Presse im Januar eine relativ umfassende Vorlage des Sozialministeriums geknickt.
Nach zunächst nur leisem Gemaule formuliert Selg für die Grünen nun drei Bedingungen an einen Gesetzentwurf: Erstens müssten Demenzkranke Leistungen erhalten. Die Pflegeversicherung ist bislang „blind“ für Alzheimer und Demenz – sie kennt nur körperliche, keine geistigen Gebrechen. Zweitens, sagt Selg, „muss es ein Signal geben, dass ambulante Pflege vor stationäre Pflege geht“. Eine Möglichkeit sei, dass Menschen, die ihre Angehörigen zu Hause pflegen, entlastet werden.
Drittens „brauchen wir eine Demografiereserve“, erklärt Selg. Hinter dieser Forderung verbirgt sich politischer Sprengstoff – denn das bedeutet, dass Versicherte individuell Kapital ansparen müssten, um Pflegekosten im Alter zu decken. Diese Empfehlung hatte auch die Rürup-Kommission im vergangenen Sommer gegeben. Um junge Menschen nicht zu überfordern, schlug die Kommission vor, einen „Solidarbeitrag“ von alten Menschen zu nehmen und für Jüngere als „Kapitalsäule“ in der Pflegeversicherung anzulegen.
Sollten die Grünen auf dieser Forderung bestehen, haben sie bald wohl nicht nur Krach mit der SPD. ULRIKE WINKELMANN