: In den Schuhen der Clowns
Wo dich jeder in seiner Sprache anspricht: Die Vielfalt der Herkunft in Berlin-Neukölln war eine Entdeckung für Slaviša und Nebojša Marković, die dort das „Rroma Café“ eröffneten und damit zugleich eine Bühne für Rroma-Theater in Berlin
VON ROBERT RIGNEY
Es mag übertrieben sein, ein Etablissement, das gerade mal zwei Jahre existiert, legendär zu nennen. Aber erstens ist das „Rroma Aether Klub Theater“ in der Neuköllner Boddinstraße 5 genau das für alle, die dort jemals eine Nacht mit türkischem Kaffee, kroatischem Pfaumenschnaps und spontanen Live-Sessions erstklassiger Musiker aller möglichen Herkünfte und Stilrichtungen verbracht haben. Zweitens nimmt das Publikum beständig zu. Einmal, weil alle, die mit Berliner (Ex-)Jugos zu tun haben, früher oder später dort landen. Und zum anderen, weil das Rroma Café, Club und Theater gleichzeitig ist.
An manchen Abenden verwandeln schwermütige Lieder die Kneipe in die Bühne einer spontanen Theateraufführung und die Gäste in Schauspieler. Der Sänger nimmt seine Bewunderer bei der Hand und bringt sie zum Tanzen, das Publikum feuert die Band mit Rufen wie „Op-pa!“ oder „Hajde!“ an. Alle bleiben bis fünf Uhr morgens.
Slaviša und Nebojša Marković, die Gründer des Rroma, sind auch Schauspieler. Die beiden Brüder, die in einer Kleinstadt in der Nähe der südserbischen Metropole Niś aufwuchsen, haben sich mit dem „Rroma Café“ einen Ort geschaffen, der Kneipe und Theater, Bühne und Zuschauerraum in einem ist. Für ihr erstes eigenes Stück haben sie sich viel Zeit gelassen. Erst haben sie geschrieben, dann war ihr Café nur donnerstags und freitags geöffnet, weil geprobt werden musste. Anfang Januar wurde „Zirkus“ endlich uraufgeführt – ein Stück über zwei von den Brüdern selbst gespielte Clowns.
Slaviša und Nebojša Marković sind 37 und 29 Jahre alt. In ihrem ersten Theaterstück tragen beide abgetragene Kleider, die wie eine Übertreibung ihres alltäglichen Berliner Boheme-Outfits wirken. Sie stellen sich selbst dar. Die Probleme, denen sie auf der Bühne begegnen, die Beleidigungen, die sie hinnehmen müssen, die Schläge ins Gesicht, die sie abkriegen, sind der Alltag der Rroma, Sinti, Aškalije, Jenischen, Travellers, Zigeuner, Gypsies … oder wie immer sie sonst noch genannt werden.
„Zirkus“ wurde mit viel Humor geschrieben. Und es wird mit viel Humor gespielt. Stümperhafte Clownstricks werden im Slapstickstil vorgeführt. Die Clowns sind pathetisch, unprofessionell und faul – und dabei lustig, ernst und menschlich. Die Zirkusleitung dagegen ist gesichtslos. Sie wird von einem dröhnenden Lautsprecher dargestellt, der bürokratische Parolen ausspuckt. Daneben gibt es auf der Bühne noch einen mürrischen Zirkusangestellten, der an einem Schreibtisch sitzt und Formulare ausfüllt. Und einen streitsüchtigen Mann mit falschem Bart und Knollennase, der die Clowns regelmäßig misshandelt. Außerdem gibt es eine Fotografin, die vergeblich versucht, die Misshandlungen mit der Kamera zu dokumentieren. Die von der amerikanischen Schauspielerin und Musikerin Nancy Darnell, einem Rroma-Café-Stammgast, gespielte Figur ist ein ironischer Kommentar zu den Menschenrechtsorganisationen, die sich vor allem in Osteuropa für die Rroma einsetzen.
Slaviša und Nebojša Marković erzählen in „Zirkus“ ein gutes Stück weit ihre eigene Geschichte. Beide kamen Ende der 90er-Jahren nach Berlin. Obwohl in Serbien nicht gekämpft wurde, war die Zeit der Jugoslawienkriege nicht leicht für die Menschen im Lande Slobodan Milošević’. Das UN-Embargo, eine Inflation von bis zu 2.000 Prozent und eine Mafiakultur aus Waffenschmuggel, Turbo Folk und oft rassistischem Nationalismus erschwerten das Leben.
Nachts allein auf der Straße zu sein war gefährlich, besonders als „Cigan“. Es gab oft Provokationen. „Ich hatte keine großen Probleme, aber eine Menge“, sagt Slaviša Marković. „Das ist ja das Verrückte. Du bist die ganze Zeit vorsichtig. Und du denkst, das sei normal. Aber es ist nicht normal.“
Nebojša Marković hat Gastronom gelernt, Slaviša Schauspiel studiert. Trotz dieser soliden Ausbildungen war den Brüdern klar, dass sie als „Zigeuner“ in Serbien keine Zukunft hatten. Nach Berlin wollten sie eigentlich auch nicht. „Berlin, das waren für mich der Zweite Weltkrieg und der Wim-Wenders-Film „Der Himmel über Berlin“. Sonst nichts“, erinnert sich Slaviša Marković. „Aber ich kannte ein paar Leute, die hier arbeiteten. Als ich dann hier war, wurde mir schnell klar, dass mich diese Gastarbeiter und ihre Kultur gar nicht interessierten. Ich dachte: Mein Gott, was sind das denn für Kleinbürger? Ich muss hier sofort wieder verschwinden!“
Dann entdeckte er das andere Berlin. „Ich war sofort fasziniert von Kreuzberg. Alle sprachen mich in ihrer Sprache an, auf Italienisch, Türkisch, Griechisch. Das hatte ich noch nie erlebt: Ich wurde nicht sofort als Rrom identifiziert, als Zigeuner. Alle dachten, ich sei einer von ihnen. Und wenn ich sagte, sorry, ich spreche Ihre Sprache nicht, blieben sie trotzdem freundlich. Das hat mich befreit.“
Die Marković zogen nach Neukölln. Dort entwickelten sie die Idee zu ihrem Cafétheater. Sie kauften und verkauften auf Flohmärkten und per eBay. Sie designten und bauten ihre eigenen Möbel. Alle Möbel, bis hin zu den Haltern der Lautsprecher. Als sie keinen Installateur bezahlen konnten, holten sie sich Anleitungen aus der Bibliothek und bauten die Toiletten selbst ein.
Bei der Eröffnung vor zwei Jahren gab es noch Probleme mit der Nachbarschaft. „Die haben gesagt: Wir haben genug Probleme hier, wir brauchen nicht noch Zigeuner“, erinnert sich Slaviša Marković. Mittlerweile haben sich die Brüder einen Ruf erworben. „Die Leute hier bei uns im Café haben alle einen anderen Hintergrund“, sagt Slaviša Marković, „was sie gemeinsam haben, ist, dass sie viel Erfahrung im Umgang mit Nationalität und Ethnizität haben. Sie wissen, dass das Projektionen sind. Das man kein Volk und keine Rasse braucht, um zu leben und zusammen zu sein.“
Aus dem Englischen von Rüdiger Rossig Rroma Aether Klub Theater, Boddinstr. 5, 12045 Berlin-Neukölln, www.rromaakt.de, nächste Vorstellungen 24. und 27. Januar, Tel. (0 30) 92 12 92 29