: Krank, arm, ehrlich? Pech gehabt
Die Gesundheitsreform und ihre Folgen: Bremer Fachleute stehen den Beschlüssen skeptisch gegenüber – besonders, was ihre Umsetzung angeht. Patientenberater befürchtet einen „ruppigen“ Behandlungsstil
taz ■ Immer auf die Kleinen – der Spruch ist so platt wie wahr und passt exakt auf die just beschlossene Gesundheitsreform. Sie wird insbesondere Menschen mit geringen Einkommen belasten. Im Bremer Gesundheitswesen zeigte sich gestern niemand wirklich glücklich über das Mammutwerk.
„Die Kranken werden in erster Linie belastet, die Gesünderen werden durch den Beitrag mehr belastet und die Arbeitgeber werden entlastet“, resümiert Norbert Kaufhold, Vorsitzender der Bremer AOK. Ob das Ziel der Reform – mehr Arbeitsplätze – tatsächlich erreicht wird, „das“, sagt der AOK-Chef, „warten wir mal ab“.
Ein bisschen Gutes kann Kaufhold dem Ganzen dennoch abgewinnen: „Gerechterweise muss man sagen, dass mit der Chroniker-Regelung und der Zwei-Prozent-Grenze ein paar Sicherungen eingebaut sind.“
Die Zwei-Prozent-Grenze: Die Obergrenze für sämtliche Zuzahlungen soll maximal zwei Prozent vom Bruttoeinkommen betragen, so haben es sich die Politiker ausgedacht. Ob bei beispielsweise einem Monatseinkommen von 1.200 Euro monatlich eine Zuzahlung von rund 290 Euro im Jahr zumutbar ist, ist die eine Frage. Ob aber der Umgang mit dieser Zwei-Prozent-Marke überhaupt praktikabel ist, das ist eine andere Frage – und Jürgen Moroff, Leiter der Unabhängigen Patientenberatung Bremen, zweifelt sehr daran. Schon jetzt zeige sich bei Obergrenzen für Zuzahlungen „ein bürokratisches Chaos“. Moroff fürchtet nun, mit der Übertragung von Zuzahlungsobergrenzen für die Gesamtbehandlung, ein „bürokratisches Monstrum“. Oder aber eine weitere Belastung für die Patienten. Denn: „Wer soll denn überprüfen, wann die zwei Prozent erreicht sind?“ Patienten sind häufig bei mehreren Ärzten in Behandlung. Der Patient müsse, so Moroff, selbst im Kopf haben, wann er seine zwei Prozent gezahlt hat. „Tut er das nicht, zahlt er brav weiter und landet auch mal bei fünf Prozent.“ Die Obergrenze ist ja gerade für einkommensschwache Menschen gemacht. Sie aber zählen häufig zu den unteren Bildungsschichten und seien möglicherweise mit soviel Rechnerei und Eigenverantwortung überfordert.
Weiteres Novum der Gesundheitsreform: Der Gang zum Arzt kostet künftig zehn Euro pro Quartal. Was dem Gesundheitswesen enorme Entlastungen bringen soll, könnte sich im Alltag als kaum handhabbar erweisen. „Wenn jemand ohne Geld in der Tasche zum Arzt geht, wird es so laufen wie jetzt mit der Versichertenkarte“, mutmaßt Moroff. Wer sie vergisst, kann sie nachliefern, sonst kann der Arzt privat abrechnen. „Dieses Verfahren funktioniert überhaupt nicht“, weiß Moroff, und: „Das wird auch jetzt nicht passieren.“ Schon gar nicht, wenn es nicht um teure Arztbehandlungen, sondern um zehn Euro geht: „Es wird wohl kein Arzt deswegen ein Pfändungsverfahren in Gang setzen. Also bleibt der Arzt vermutlich auf den zehn Euro sitzen.“ Das werde sicherlich von manchen ausgenutzt, mit negativen Konsequenzen für die Patienten: „Bei manchen Ärzten haben wir, was vergessene Versichertenkarten angeht, schon erlebt, dass sie solche Patienten, denen das mehrfach passiert, rausschmeißen“, erzählt der Patientenberater und fürchtet, dass es bei diesem Verfahren bleibt: „Es könnte sein, dass sich dadurch ein sehr ruppiger Behandlungsstil entwickelt.“
Der DGB Bremen hat die Reform gestern scharf kritisiert: Ein „Selbstbedienungsladen für die Anbieter“ sei das Werk, so DGB-Vorsitzende Helga Ziegert. Sie fordert die Bremer Bundestagsabgeordneten in Berlin auf, „der Reformruine keine Zustimmung zu geben.“
Susanne Gieffers
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