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Archiv-Artikel

Die Mulitkulti-Meile rückt zusammen

Drei Wochen nach dem Kölner Bombenanschlag hat die Polizei noch immer keinen Hinweis auf Täter und Motiv. Anwohner und Ladenbesitzer versuchen, sich mit der Ungewissheit zu arrangieren. Ein großes Straßenfest soll zeigen: Das Leben geht weiter

AUS KÖLN PASCAL BEUCKER

Fast scheint es in der Keupstraße im Kölner Stadtteil Mülheim wie immer zu sein. Eine Mutter mit Kopftuch schiebt ihren Kinderwagen durch die Gasse. Menschen stehen herum und unterhalten sich. Doch es ist nicht so wie immer. „Sehen Sie die ganzen Leute auf der Straße? Das sind alles Leute, die vor ihrem Geschäft auf die Kundschaft warten, die nicht kommt“, sagt Emine Kahvecioglu sarkastisch.

Direkt neben seinem Geschäft für Hochzeitsservice war sie vor nun fast drei Wochen hochgegangen: die Nagelbombe, die 22 Menschen teilweise schwer verletzte. Im Umkreis von rund hundert Metern gingen Fensterscheiben zu Bruch, geparkte Autos wurden von Teilen der Bombe „wie von Projektilen durchschlagen“, so die Polizei.

Kahvecioglu war gerade unterwegs, als es passierte. Frau und Schwester waren im Laden. Wie durch ein Wunder blieben sie unverletzt. Von den Verwüstungen ist im Geschäft nichts mehr zu sehen. Fenster, Türen – alles neu. Der Salon sieht blitzblank aus. „Muss ja auch, alles geht weiter“, sagt Kahvecioglu.

Wütend ist er auf Journalisten, die auf der Suche nach Erklärungen die Keupstraße als „Rotlichtmeile“ und „Drogenviertel“ beschrieben und über einen möglichen Bandenkrieg oder Machtkämpfe zwischen Türken und Kurden spekulierten. „Wenn Sie die Keupstraße kennen, dann wissen Sie, was für ein Unsinn das ist“, schimpft Kahvecioglu.

Neben ihm steht Thomas Schallenberg und pflichtet ihm bei. Seine kleine Druckerei ist eines der ganz wenigen deutschen Geschäfte in der Keupstraße. Ja, vor zehn oder fünfzehn Jahren sei es hier tatsächlich noch ziemlich wild zugegangen. „Aber das ist doch längst vorbei“, sagt er. Die Wahnsinnstat vor drei Wochen habe die Menschen hier verändert: „Man unterhält sich jetzt mehr miteinander.“

Auch Ali Demir beklagt sich. „Wir arbeiten hier seit zehn Jahren an unserem Ruf – und dann kommt eine Bombe und macht alles kaputt“, sagt der Steuerberater und Vorsitzende der Interessengemeinschaft Keupstraße. „Deutsche, Türken und Kurden, Sunniten und Aleviten, Islamisten und Laizisten – wir leben hier alle friedlich zusammen.“ Die Täter könnten nicht von hier stammen. „Alle leben von dieser Straße, die wollen doch nicht ihre eigene Straße kaputtmachen.“

Tatsächlich hat sich die Keupstraße gewandelt. Sie gilt mit ihren Dönerbuden, Bäckereien, Spezialitätenrestaurants, Reisebüros, Juwelier- und Gemischtwarenläden inzwischen als beliebte Kölner Multikulti-Meile. Zwar ist „Klein-Istanbul“ wie das gesamte alte Arbeiterviertel immer noch ein sozialer Brennpunkt. Doch das „Veedel“ macht sich. Nur wenige hundert Meter vom Tatort entfernt produzieren Stefan Raab und Anke Engelke ihre allabendlichen TV-Shows, in der angrenzenden Schanzenstraße befindet sich der Firmensitz des Musiksenders Viva.

Dessen Überwachungskamera zeichnete jene zwei Verdächtigen auf, nach denen die Mordkommission „Sprengstoff“ inzwischen fieberhaft fahndet. Aber auch die Veröffentlichung der unscharfen Bilder, die zwei 30-Jährige mit Baseballkappen zeigt, hat bislang nicht zu einem Durchbruch geführt. So liegt der Hintergrund der Tat weiter im Dunkeln. „Erst wenn wir den Täter haben, kennen wir auch das Motiv“, sagt der Leitende Polizeidirektor Dieter Klinger.

Bundesinnenminister Otto Schily hatte schon einen Tag nach dem Anschlag verkündet, die Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden deuteten „auf ein kriminelles Milieu“. Aber das war wohl nichts weiter als wilde Spekulation. Staatsanwaltschaft und Polizei betonen jedenfalls, sie ermittelten „in alle Richtungen“. Nichts könne ausgeschlossen werden – weder ein allgemeinkriminelles Motiv noch ein fremdenfeindliches, terroristisches oder persönliches.

Die Anwohner und Geschäftsleute in der Keupstraße wollen trotz der Ungewissheit nach vorne schauen. Sie planen ein großen Straßenfest für den 11. Juli – mit Hüpfburg und Torwandschießen, mit türkischem Theater und kölschem Liedgut. Die Schirmherrschaft hat Kölns Oberbürgermeister Fritz Schramma übernommen. „Das Leben geht weiter“, sagt Ali Demir. „Das wollen wir den Leuten bewusst machen.“