: Mein Körper passt da nicht hinein
Die jungen Preisträgerinnen Jacqueline Doyen und Claudia Kapp zeigen im Kunstverein Hannover Installationen mit eingebautem Aha-Erlebnis. Die Reaktionen der Zuschauer sind bei ihnen Teil der Inszenierung
VON TIM ACKERMANN
Claudia Kapp hat ein ziemlich ungewöhnliches Kunstwerk geschaffen. Es heißt „Meanwhile“, hängt von der Decke und besteht aus einer Plattform, an die Neonröhren montiert wurden. Die Neonröhren erinnern an die Installationen des Minimalisten Dan Flavin, doch stellt man sich darunter, hat man das Gefühl, als würden die Röhren singen – was seltsam ist, denn Flavins Neonröhren sangen überhaupt nicht. Zu abstrakten Mustern gruppiert, leuchteten sie vor sich hin: kalt, sich selbst genügend und den Betrachter dezent illuminierend.
Kapp, Jahrgang 1972, hat in Bremen und Den Haag studiert und gehört zu einer jungen Künstlergeneration, die sich der puristischen Ästhetik der Minimalisten sporadisch und strategisch bedient. Kapp hat entdeckt, dass Flavins alte Leuchtstoffröhre jazzt, sie nutzt ihre musikalischen Qualitäten: In „Meanwhile“ werden die Neonröhren über eine Computersteuerung in festgelegten Abständen eingeschaltet. Je nach Rhythmus der Programmierung geben die Lampen ein leises „Pling“, ein hohes Singen oder Maschinengewehr-ähnliches Knattern von sich. Knapp über den Köpfen der Ausstellungsbesucher hängt die hell leuchtende Plattform, während sich die mechanische Sinfonie entfaltet.
„Meanwhile“ gibt die passende Grundstimmung für eine Ausstellung im Kunstverein Hannover vor, die neben Kapp noch die junge französische Künstlerin Jacqueline Doyen zeigt. Doyen und Kapp sind Trägerinnen des Preises des Kunstvereins Hannover, einer Auszeichnung, die an junge Nachwuchskünstler vergeben wird, die in Niedersachsen und Bremen leben. Der Preis ist mit einem zweijährigen Atelierstipendium in einer Hannoveraner Stadtvilla verbunden, finanziert von einer örtlichen Firmengruppe und der Niedersächsischen Lottostiftung.
Die beiden Künstlerinnen haben diese Zeit genutzt. Beiden ist gemeinsam, dass sie sehr konzeptuell arbeiten. Auch wenn Kapp mittlerweile häufiger zur Videokamera greift, geht es ihr nie allein um Dokumentation, sondern immer auch um die Frage, welche Position das Werk zum Raum und zum Betrachter einnimmt. In „Closer“ etwa sieht man zunächst nur drei Farbflecken über die Leinwand tanzen und bemerkt erst später, dass es sich dabei um Verschlusskappen von Plastikflaschen handelt, die auf Plattenspieler gestellt wurden und beim Kreiseln von einer Überwachungskamera aufgenommen werden.
Und wenn die Künstlerin für ihre fünfteilige Arbeit „Capsule Suite“ Passanten in Tokio filmt, die im Großstadttrubel einfach stehen bleiben und die Augen schließen, wird hier der Ausstellungsbesucher Teil der Spiels, indem er zwischen Videobeamern im Raum herumgeht und sich so in Beziehung zu den Menschen im Film setzt. „Ich will mit meiner Kunst eine Konfrontation erzwingen“, sagt Kapp. „Sobald der Betrachter die Arbeit sieht, ist er schon involviert.“
Baut Kapp auf die zumindest unfreiwillige Komplizenschaft des Betrachters, so stellt ihm Jacqueline Doyen eine gedankliche Falle. Die 30-Jährige baut Stahlskulpturen, die wie eine Kreuzung aus Hochsitz, Gynäkologiestuhl und absurder Prothese wirken. Kleine Lederpolster scheinen den Betrachter einzuladen, ins Rohrgestänge hineinzuklettern und es sich bequem zu machen.
Allerdings hat Doyen die Konstruktionen auf die Körpermaße und das Fitnesslevel ausgewählter Performer zugeschnitten, ihre Arbeiten sind also weniger einladend als sie scheinen. Aus dem Werk „Salto“, das entfernt an einen Stufenbarren erinnert, dürfte der durchschnittliche Ausstellungsbesucher mangels Körperspannung herausplumpsen.
Doyen geht es eben nur scheinbar um Partizipation. Wichtiger ist ihr, dass sich der Betrachter die Körper vorstellt, die durch ihre Skulpturen in bestimmte, fest definierte Haltungen gezwungen werden könnten. Ihr Werk „Ob sie vor dem Wiener Opernball eine Frauenzeitschrift gelesen hat, die ihr zeigt, wie es geht?“ weckt die Assoziation einer jungen Debütantin, die eingezwängt durch Eisenringe, Schrauben, Arm- und Beinschienen mühsam lernt, die Finger abzuspreizen oder die Beine hübsch voreinander zu stellen. Die Skulptur ist in Stahl gegossene Konvention. Sie zeigt, wie individueller Gestus ins Korsett der gesellschaftlichen Norm geschnürt wird.
Es interessiere sie, wie manche Posen Automatismen offenbaren, sagt Doyen, die ihren Abschluss an der Kunsthochschule in Braunschweig gemacht hat. Die Künstlerin hat ein Stahlkorsett nach Teddy O’ Neills berühmtem Bild von Faye Dunaway gebaut, das die Hollywoodschauspielerin im Liegestuhl liegend mit ihrem gerade gewonnenen Oscar zeigt. Damit beschreibt Doyen sehr schön, was Dunaways lässige Pose in Wirklichkeit wahr: stahlharte Inszenierung.
Jacqueline Doyen und Claudia Kapp: bis zum 1. März im Kunstverein Hannover. Zu jeder Künstlerin erscheint ein Katalog