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Archiv-Artikel

Hetze von rechts wird Thema in Israel

Ministerpräsident Scharon fordert Maßnahmen gegen Drohungen im Fall der Räumung von Siedlungen

JERUSALEM taz ■ Er sei nicht um sein eigenes Wohl besorgt, hatte der israelische Ministerpräsident Jitzhak Rabin noch wenige Tage vor seiner Ermordung im November 1995 erklärt. Dennoch beunruhige ihn die zunehmende verbale Gewalt im eigenen Land. Die „Stimme Israels“ strahlte das Interview gestern in Auszügen noch einmal aus, denn die zunehmende Hetze aus dem rechtsextremen Lager beherrscht kaum zehn Jahre nach dem Mordanschlag vor dem Tel Aviver Rathaus erneut die öffentliche Debatte in Israel. Auslöser waren die Äußerungen des Jerusalemer Rabbiners Avigdor Neventzal, der den gewaltsamen Widerstand gegen die Räumung jüdischer Siedlungen für legitim erklärte.

Ministerpräsident Ariel Scharon beauftragte das Justizministerium, „energische Maßnahmen zur Beendigung der gefährlichen Hetze“ aus dem rechten Lager zu ergreifen. Zuvor hatte der Chef des inländischen Nachrichtendienstes Shin Beth, Awi Dichter, vor einer möglichen Gefahr für den Regierungschef berichtet. Rechtsextreme Kräfte könnten versuchen, Scharons einseitigen Abzugsplan aus dem Gaza-Streifen mit allen Mitteln zu verhindern. „Als jemand, der sein ganzes Leben lang Juden verteidigte, muss ich mich nun selbst gegen Juden verteidigen“, sagte Scharon betroffen. Ungeachtet der möglichen Gefahr weigert sich der Regierungschef nach wie vor, eine kugelsichere Weste zu tragen, da es ohnehin „in meiner Größe keine gibt“.

Während die Anhänger der verbotenen radikalen Kach-Partei zum Teil aus dem Untergrund heraus agieren, erklärte das Komitee der Rabbiner in „Judäa und Samaria“, also des palästinensischen Westjordanlandes, völlig unverblümt die „Entwurzelung von Siedlungen“ und die „Vertreibung von Juden“ für verboten. Uri Elitzur, langjähriger Aktivist der Siedlerbewegung, rief offen zum Widerstand auf: „Wenn sie kommen, um uns zu vergewaltigen und fast zu ermorden, werden wir uns nicht wie Mehlsäcke verhalten.“ Elitzur kündigte ein „Blutvergießen“ an, sollte der „unmenschliche“ Abzugsplan umgesetzt werden.

Den Mord an Rabin vor Augen, in dessen Vorfeld ein ähnliches politisches Klima wie in diesen Tagen herrschte, rief Minister Gidon Esra die jüdischen Siedler auf, die Polizei schon jetzt auf mögliche Gewalttäter aufmerksam zu machen. Als erste Reaktion auf die extremistischen Äußerungen formierte sich diese Woche eine moderate Gruppe. Die „Siedler für einen Kompromiss“ wollen versuchen, „die Mehrheit zu repräsentieren“, wie der Initiator der Gruppe, Avinoam Magen, erläutert. Die „extremistischen Stimmen“, die nur eine Minderheit ausmachten, sollten „ausbalanciert“ werden, so Magen weiter.

Konkrete juristische Schritte werden, abgesehen von wiederholten Verhaftungen bekannter Rädelsführer, derzeit noch nicht unternommen. Es gebe Bestimmungen gegen Hetze und Aufruf zur Gewalt, erklärte Justizminister Tommi Lapid (Schinui). Sollte die „sehr liberale Haltung, die das Justizministerium in der Frage der freien Meinungsäußerung einnimmt, missbraucht werden, wird die Geduld des Oberstaatsanwaltes einer schweren Probe unterzogen werden“, fügte er hinzu. Neventzal habe zunächst lediglich eine „Mahnung“ erhalten. SUSANNE KNAUL