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Archiv-Artikel

Kurzer Sommer der Völkerfreundschaft

Ein Jubiläumswochenende, 30 Jahre danach: Im Roten Salon der Volksbühne redeten Zeitzeugen und solche, die es gerne gewesen wären, über die politische und kulturelle Bedeutung der Weltjugendfestspiele von 1973 für die DDR

Über 4.000 Stasi-Mitarbeiter waren an diesen Tagen unterwegs, Hunderte von Menschen waren im Vorfeld in psychiatrische Anstalten verbracht worden. Dennoch sind die Weltfestspiele der Jugend 1973 in Ostberlin als ein wunderbarer Sommer der Liebe, der langen Haare, der selbstbewusst zur Schau getragenen Jeansmode, besonders aber der politischen und sexuellen Freizügigkeit im kollektiven Gedächtnis hängen geblieben.

Tatsächlich waren die Weltfestspiele einer der seltenen Momente, in der die DDR-Führung den propagierten Internationalismus wirklich zuließ: Rund acht Millionen Besucher nahmen an der Massenveranstaltung teil, darunter 25.000 ausländische Gäste. Das Ergebnis waren schöne Nächte im Park, Tage voller Gitarrenjazz, Rockmusik und sozialistischer Parolen, es herrschte staatlich verordnete Völkerverständigung bei gleichzeitiger Zügellosigkeit an den Rändern. Die jungen Menschen waren viele, sie waren einfach überall, punktuell entglitt den Überwachungsorganen die Kontrolle. Es war wohl vor allem diese Erfahrung relativer Bewegungsfreiheit, die zur Legendenbildung um die Weltfestspiele beigetragen hat.

Nach 30 Jahren wollten nun am Sonntag zwei Diskussionsrunden im Roten Salon der Volksbühne die tatsächliche kulturelle und politische Bedeutung der Weltjugendfestspiele klären. Die beiden Veranstaltungen gehörten zu einem umfangreichen Jubiläumswochenende, das die Bundeszentrale für politische Bildung ausgerichtet hatte: Ein Programm aus Konzerten, Kinofilmen und Ausstellungen sollte den Mythos um den Sommer von 73 zuerst aufbauen, um die heraufbeschworenen nostalgischen Gefühle dann mit Diskussionen, Vorträgen und Zeitzeugengesprächen wieder auszutreiben.

Trotz dieser leicht zu durchschauenden Dramaturgie sind viele Menschen der Einladung der Bundeszentrale gefolgt, die Mitarbeiter können das Wochenende als Erfolg verbuchen. Selbst am Sonntagmittag kamen die Leute und setzten sich bei Temperaturen wie im Backofen in die aufgebauten Stuhlreihen im Roten Salon, um einem Gespräch zwischen den Schriftstellern Julia Schoch, Abini Zöllner, Jana Simon und André Kubiczek zuzuhören. Alle vier Autoren sind zu Beginn der 70er-Jahre geboren und in der DDR aufgewachsen. Sie haben die Weltfestspiele zwar meist nicht bewusst erlebt, die DDR-Geschichte spielt in ihren jeweiligen Büchern indes eine zentrale Rolle.

Nachdem Abini Zöllner zugab, dass ihr von den Weltfestspielen eigentlich nur die Frisur der aus dem kapitalistischen Ausland eingeladenen Angela Davis in Erinnerung geblieben ist, kippte das Gespräch denn auch schnell ins allgemeine Gerede über die DDR-Geschichte ab. Julia Schoch erklärte, dass ihr Interesse eher in den Lücken zwischen zwei Gesellschaftssystemen liege. Jana Simon warnte vor der derzeit überall zu erlebenden folkloristischen Beschäftigung mit dem Osten, dem „Ost-Boom“. Bald hätten ihn alle satt. „Und dann kann keiner das Wort DDR mehr hören“. André Kubiczek hatte die Frage schon wieder vergessen, sagte dann aber doch Sätze wie „Man muss den Feind in der Jetztzeit suchen“ sowie „Wer ja sagt, hat schon verloren“. Und Abini Zöllner erklärte dann noch mit halsbrecherischer Selbstüberzeugung, sie habe die Zeiten eigentlich ganz gut gefunden, als Bücher noch Bückware waren und man noch nicht so überfordert war vom Internet und dem Gedränge auf der Buchmesse.

Weitaus interessanter gelang die zweite Diskussion. Unter der Überschrift „1973 – Der Anfang vom Ende?“ diskutierten so unterschiedliche Protagonisten wie der ehemalige Gorbatschow-Berater und damalige Mitveranstalter der Weltfestspiele Andrej Gratchev sowie der taz-Autor Christian Semler, damals Aktivist der maoistischen KPD.

Semler war die Einreise nach Ostberlin verboten worden, weil er als linksradikal und Gegner der Sowjetunion galt. Den eher floskelhaften Sätzen Gratchevs („Das Jahrhundert der Utopien ist gefährlich, das Jahrhundert ohne Utopien ist langweilig“) konterte Semler am Sonntag mit konkreten Erlebnisberichten. Er erzählte, wie er und seine Kumpanen mit einer Lautsprecheranlage versuchten, vom Wedding aus die Reden im Stadion der Weltjugend zu stören.

Einen persönlichen Eindruck vom Geschehen vermittelte auch der damalige Studentenpfarrer und heutige Mitarbeiter der Birthler-Behörde, Ehrhard Neubert. Er erzählte von FDJ-Gruppen aus der Provinz, die monatelang vor den Weltfestspielen die Choreografie von Jubel und Applaus einstudieren mussten. Auch der PEN-Präsident Johano Strasser, der 1973 als Juso-Vorsitzender nach Ostberlin kam, musste zugeben, dass seine Diskussionsmöglichkeiten mit DDR-Jugendlichen damals eher begrenzt waren. Die Fragen des Podiums blieben damit etwas diffus in der Hitze des Nachmittags hängen.

Realistisch war wohl der Eindruck, den der Spiegel-Korrespondent Norbert Prötzl von den Weltfestspielen mitnahm: „Es gab eine scheinbare Weltoffenheit in einer Diktatur, die eigentlich nichts mit Ausländern zu tun haben wollte“.

KIRSTEN KÜPPERS