: Unterwegs als Baby-Odysseus
Arabiata: Wenn das Amtskamel und der Amtsschimmel sich glücklich paaren
AMMAN taz ■ Im Meer der königreichlichen Behörden Jordaniens lässt sich herrlich sindbaden. Die Schaumkronen der Wellen brandeten an meinen Leib, nachdem mir von meiner Frau eines schönen Morgens in Amman ein Kind geboren ward. Über mehrere Tage hinweg odyssierte ich durch das Verfahren, das meinen Sohn legalisieren sollte.
Zunächst wurde mir in einem ersten Schritt von dem Krankenhaus, in dem der kleine Bil-Aschk zu uns gestoßen war, eine Geburtsbescheinigung ausgehändigt. Die sollte ich im Gesundheitsministerium beglaubigen lassen.
Ich fuhr zu dem Ort, der mir geheißen, und fragte bei der Information, wie ich zur „Abteilung ‚Stempel für Neugeborene‘ “ gelänge. Die Antwort traf mich in vollem Amtsarabisch: „Hier, den Gang geradeaus, dann links, erste Tür rechts, linker Schreibtisch, rechts von der Tür.“ Dem verbalen Schilderwald folgend, huschte ich die schmucklos-kahlen Wände entlang und betrat den annoncierten Raum. Der Beamte erwies sich als zuständig, wenn auch erst in zweiter Instanz. Erst müsse ich, erklärte er mir, einen anderen Stempel besorgen; in einer Nebenstelle des Ministeriums. „Nein, nein, das ist nicht weit. Auf der anderen Straßenseite, das große Haus, zweites Stockwerk, Raum XY…“
Rüber also und hoch zu zwei freundlichen, kopfbetuchten Beamtinnen auf einem Diwan mit gemütlichen Stempelkissen, ein kurzer Dialog – und ab, wieder zurück. Noch ein Schwätzchen, und mit den Vermerken eins und zwei auf dem Papier waren die Schritte zwei und drei auf dem Weg zur Legalisierung meiner Brut getan.
Am nächsten Morgen Anlauf- und Anstellstelle vier: Das ammanesische Einwohnermeldeamt, „Abteilung ‚Registrierung von Neugeborenen‘ “. Die Halle erfüllte für mich schlagartig eine bis dato tote statistische Aussage mit Leben: Jordanien weist ein Bevölkerungswachstum von etwa 3,5 Prozent pro Jahr auf. Und diese vielen tausend Kinder müssen registriert werden. Jeden Vormittag zwischen acht und zwölf Uhr.
Ich profitierte jedoch davon, dass das Königreich – wie so viele Länder im Nahen Osten – proportional zum Bevölkerungswachstum einen enormen Verwaltungsapparat aufgeblasen hat. Heißt: In der äußerst überfüllten Meldestelle arbeiten äußerst viele Beamte. Und vor diesen Beamten bilden sich – nein, keine Warteschlangen, in die man sich einreiht –, sondern größere Menschentrauben, von denen man aufgesogen wird. Irgendwann macht es plopp, man wird ausgespuckt und steht vor seinem Registraturherrn.
„Aaaah“, frohlockte der mir zugewandte Beamte, „da fehlen Ihnen aber noch Kopien – Ihres Passes und des Passes Ihrer Frau. Gehen Sie auf die andere Straßenseite …“
Gesagt, kopiert – und schon bekam ich es wieder: das Gefühl fürs Gewühl. Eine weitere Viertelstunde beherzten Knuffens und Puffens, und ich war wieder dran. Es folgte ein von den Umstehenden lautstark unterstütztes Diktieren und Inskribieren der Namen, des Kindes, der Mutter, des Vaters, des Großvaters mütterlicherseits und des Großvaters väterlicherseits. Großmütter sind zum Glück nicht gefragt. Schließlich vonseiten des Beamten die abermalige Bitte um abermaliges Abstempeln. Drei Warteschlangen weiter.
Dort erfüllte der Meister der Amtssiegel sein Soll mit gebührender Sorgfalt und nahm mir die krankenhäusliche Geburtsbescheinigung weg. Er versprach mir jedoch im Gegenzug eine Geburtsurkunde auszuhändigen – wenn ich im Raum YX des dritten Stocks erneut erschiene, von Stund an nach 60 Minuten.
Und dann kam der beschämende Satz, den man aus jeder xenophilen deutschen Pseudoglosse kennt, weshalb ich stets gehofft hatte, dass er mir erspart bleiben würde: „Ach, nein, Sie sind ja Ausländer, das finden Sie wahrscheinlich gar nicht. Warten Sie eben. Ich besorge Ihnen gleich die Geburtsurkunde.“
Die Schritte fünf und sechs waren schnell gemacht und sind ergo auch kurz erzählt: Übersetzung der arabischen Geburtsurkunde und Bestätigung der Amtsmäßigkeit der Übersetzung durch das Außenministerium.
Blieb der letzte Schritt auf dem Weg zur Legitimierung meines Sohnes. Und wie es der Teufel der Addition so will, war es ausgerechnete der siebte; der Schritt mithin, der nach Vollbringung für das Unendliche steht: Ich musste zur Konsularabteilung der Deutschen Botschaft. Die Amtskamele röhrten noch in meinem Kopf die Melodie des Liedes „Über sieben Brücken musst du gehen“; vor meinem inneren Auge tanzte eine Beduinenprinzessin Szenen aus „Das verflixte siebte Anstehen“ nach … – und schon hatte mir der Konsularbeamte ein Formular für eine „Geburtsanzeige“ gereicht. „Wenn Sie mir die, von Ihrer Frau mitunterschrieben, morgen einreichen, ist es vollbracht“, lächelte er mir zu. Und dann der freundliche Nachsatz: „Die deutsche Geburtsurkunde bekommen Sie dann in 12 bis 24 Monaten.“
Das „Standesamt 1“ in Berlin, bei dem alle Auslandsdeutschen von Feuerland bis Nordnorwegen ihre Kinder vermelden müssen, hat eben viel zu tun.
Wenn Amtskamel und Amtsschimmel sich paaren / entstehen Wartezeiten von Jahren.
BJÖRN BLASCHKE