: Zeit fürs Erbsen zählen
Schlechte Stimmung in Hamburgs Lehrerzimmern. Grundschul-Schulleiter warten vergeblich auf Gespräch mit Senator Lange. Gymnasium Allee fehlen Lehrer für 10 Prozent der Schüler. Integrierte HR-Schulen bekommen ebenfalls 10 Prozent weniger
von KAIJA KUTTER
An den Grundschulen bereitet das Lehrerarbeitszeitmodell die größten Probleme. 200 Grundschul-Schulleiter bildeten deshalb im Juni eine Delegation, um mit Bildungssenator Rudolf Lange (FDP) zu sprechen. Doch das von der Poppenbüttler Schulleiterin Regina Kühn-Ziegler auf dem Dienstweg eingereichte Gesprächsgesuch kam bei Lange nie an. „Offenbar hat eine untere Instanz der Behörde es einkassiert“, sagt Kühn-Ziegler, die bis heute keine Antwort hat. „Wir sind bitter enttäuscht.“
So müssen die Grundschulen nun ohne die gewünschte Aussprache ins Schuljahr starten. Während Nachbarland Schleswig-Holstein ein millionenschweres Programm gegen Unterrichtsausfall startet, hat Kühn-Ziegler für ihre Poppenbüttler Grundschule auch eine Ausfallreserve, allerdings fast nur auf dem Papier. Denn das Arbeitszeitmodell verpflichtet 13 Lehrer ihres Kollegiums zu 30 Stunden und mehr. Wenn sie ihre Vertretung geben können, sind die Schüler längst Zuhause.
„Ganz schlecht“, sagt auch Schulleiter Ulrich Mumm zur Frage, wie sein Gymnasium Allee Altona zurechtkommt. Erstmals hatte nicht der Rektor selbst, sondern die Statistiker in der Bildungsbehörde geschätzt, wie viele Schüler kommen und sich dabei ziemlich vertan. „Ich lag früher höchstens um 2,5 Prozent daneben. Die haben sich um 10 Prozent verschätzt.“ Sprich: für 65 der 650 Altonaer Gymnasiasten gibt es keine Lehrer.
Mumm hat den Fehler kurz vor den Ferien bemerkt und bei der Behörde interveniert. Vergeblich, wie er sagt. Da der Etat für 2003 verbraucht sei, soll er erst im Februar die nötigen drei Lehrkräfte kriegen, hieß es ausder Hamburger Straße. „Dies ist der einzige Fall, in dem unsere Planung nicht geklappt hat“, sagt Behördensprecher Alexander Luckow. In dem Stadtteil gebe es eine hohe Fluktuation, die man auch diesmal erwartet habe. Der Schulleiter sei jedoch in der Lage, den Unterricht abzudecken.
Die Frage ist nur wie. Vier ehemals 5. Klassen müssen nun zu drei 6. Klassen à 33 Schüler zusammengelegt werden. Auch in der Oberstufe sind die Kurse rappelvoll. Mumm: „Diskutieren sie mal mit 30 Schülern in Philosophie. Da kommt der einzelne kaum zu Wort.“
Mit 10 Prozent weniger Stunden muss auch die „Theodor Haubach Schule“ gleich um die Ecke auskommen. Doch hier ist es politischer Wille. Denn trotz erfolgreicher Arbeit wird der Schulversuch der „Integrierten Haupt- und Realschule“ finanziell nicht fortgesetzt. „Wir machen trotzdem weiter. Die Kinder wieder in Haupt- und Realschüler zu trennen, kommt für uns nicht in Frage“, sagt Schulleiterin Karin Bühring.
Doch die Ausstattung der 16 Hamburger IHR-Schulen beträgt künftig exakt den Mittelwert der übrigen Haupt- und Realschulen. Mit der Folge, dass Förderstunden fehlen. An der Haubach-Schule ist die bewährte Differenzierung in Deutsch deshalb künftig nicht mehr möglich. Auch für die IHR-Schulen gilt, wer teilen und besser fördern will, muss die durch Überschreitung der Basis-Klassengrößen erwirtschaften. Bühring macht hier auf ein weiteres Problem aufmerksam: „Die Stunden, die wir jetzt neu erwirtschaften, bekommen wir frühestens im Januar zugewiesen.“
„Unter Rosemarie Raab war das System flexibler“, erklärt Werner Stolpe, der Vorsitzende des Schulleiterverbands. Damals seien über den mit der Finanzbehörde abgesprochenen „Swing“ und andere Modelle auch Stellen im Vorgriff auf das nächste Haushaltsjahr zu besetzen. Der neue Senat verhalte sich haushaltspolitisch korrekt. Für die Pädagogik sei diese mangelnde Flexibität jedoch nicht gut.
Es gebe mehr Frühstunden, mehr Spätstunden, mehr fachfremden Unterricht, aber „die Schule funktionert“, sagt Werner Stolpe, befragt nach seiner Gesamtschule Bahrenfeld. Was ihm die meisten Sorgen bereite, sei die Stimmung der Lehrer. Selbst die routinemäßige Dienstbesprechung am Montag morgen, die nicht im Modell berücksichtigt ist, wollten Lehrer nicht mehr machen, nach dem Motto: „Wenn die Behörde Erbsen zählt, machen wir das auch.“