kündigungsschutz: Gefühlte Sicherheit
Kausale Zusammenhänge sind tückisch: Es gibt Hennen und es gibt Eier – aber was war zuerst da? Eine ähnliche Debatte entspinnt sich jetzt beim Kündigungsschutz: Es gibt Arbeitslose und es gibt Regeln, wie sich Entlassungen zu vollziehen haben. Was ist Folge, was Ursache?
KOMMENTARVON ULRIKE HERRMANN
Der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff weiß die Antwort: Der Kündigungsschutz ist schuld, sonst hätten wir nicht real sechs Millionen Arbeitslose. Aber es lässt sich auch andersherum sehen: Sechs Millionen ohne Job beweisen, dass der Kündigungsschutz nicht vor Entlassung schützt – sonst wären viele von ihnen noch beschäftigt.
Auf den Kündigungsschutz haben übrigens auch die langjährigen Mitarbeiter von DaimlerChrysler und Siemens nicht vertraut: Stattdessen waren sie bereit, auf Teile ihres Gehalts zu verzichten, um ihre Jobs zu retten. Das schien ihnen deutlich sicherer, denn sie haben aus bitterer Erfahrung gelernt. Der rasante Anstieg der Beschäftigungslosen bei jeder Konjunkturflaute zeigt, wie flexibel der deutsche Arbeitsmarkt längst ist.
Die Debatte um den Kündigungsschutz ist weitgehend symbolisch, hat mit den Fakten fast nichts zu tun. Das gilt für die Argumente der Arbeitgeber wie für die Reflexabwehr der Gewerkschaften. Doch das Symbolische macht die Auseinandersetzung nicht bedeutungslos. Im Gegenteil. Eine Gesellschaft verständigt sich über Symbole.
Wenn nun das Thema Kündigungsschutz so beharrlich wiederkehrt, dann stellt sich die Frage: Worüber wird symbolisch gestritten? Es scheint um etwas zu gehen, das so wenig materiell ist wie die Bedeutung eines Symbols: Es geht um Gefühle. Die Arbeitgeber wollen endlich das Gefühl haben, keinerlei Rücksicht mehr nehmen zu müssen, ganz frei zu sein in ihren Entscheidungen. Die Beschäftigten wiederum wünschen sich zumindest einen letzten Rest von gefühlter Sicherheit in einer sehr unsicheren Arbeitswelt.
Wahrscheinlich, so sind die Machtverhältnisse, werden die Arbeitgeber irgendwann erreichen, dass der Kündigungsschutz weiter durchlöchert wird. Aber sie sollten sich nicht täuschen: Das Bedürfnis nach Sicherheit ist fundamental. Schon ist „Angstsparen“ ein fester Begriff in Deutschland, die Leute konsumieren nicht mehr. Wieder stellt sich so eine Henne-und-Ei-Frage: Es gibt eine schwache Binnennachfrage und es gibt immer weniger Einfluss der Arbeitnehmer. Wie das wohl zusammenhängt?
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