: Dem Streit den Zahn gezogen
aus Berlin ULRIKE WINKELMANN
Einer der interessantesten Aspekte der Konsensverhandlungen zur Gesundheitsreform ist, dass alle Seiten zwar pausenlos „Wettbewerb“ fordern, im Ergebnis jedoch genau dessen Verhinderung herauskommt. Diese wird dann wiederum von allen Seiten als Erfolg verkauft. So geschehen auch in der jüngsten und letzten Verhandlungsrunde, die am Freitag erst lang nach Mitternacht beendet war.
Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) und Exgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) mussten vor allem eine Lösung dafür finden, was mit dem Zahnersatz geschehen soll. Dieser wird nun ab 2005 extra versichert: Versicherte können dann wählen, ob sie ihrer gesetzlichen Kasse ungefähr 6 Euro extra zahlen oder ob sie zu einer Privatkasse gehen wollen.
Dadurch wird die hälftig von Arbeitgebern und Arbeitnehmern finanzierte gesetzliche Krankenversicherung um 3,5 Milliarden Euro entlastet – macht etwa 3,5 Beitragssatzpunkte. Insgesamt soll die Gesundheitsreform in den kommenden Jahren so viel Kosten einsparen und umlagern, dass die Kassenbeiträge von derzeit 14,3 unter 13 Prozent sinken. Darauf einigten sich Regierung und Opposition in den „Eckpunkten zur Gesundheitsreform“ vor einem Monat.
Was den Zahnersatz anging, so hatten Kanzler Gerhard Schröder und Unionschefin Angela Merkel beschlossen, die Zahnersatzversicherung in den „fairen Wettbewerb“ zwischen gesetzlichen und privaten Versicherungen zu geben. Damit sollte die Forderung der Union erfüllt werden, mehr private Elemente in das Gesundheitssystem einzuführen.
Was die Konsensverhandler nach Rücksprache mit ihren Partei- und Fraktionschefs nun ausgetüftelt haben, schafft in Bezug auf den Zahnersatz den Wettbewerb zwischen den gesetzlichen Kassen ab: Denn die werden nun alle gemeinsam einen einheitlichen Preis für die Zahnersatzversicherung anbieten. Die 3,5 Milliarden Euro Zahnersatzkosten werden durch 50,8 Millionen Mitglieder geteilt, macht 6 bis 7 Euro pro Mitglied und Monat.
Der angestrebte Wettbewerb zwischen gesetzlichen und Privatkassen wird vor allem darunter leiden, dass die Privaten unmöglich ein so günstiges Angebot machen können wie die gesetzlichen: Sie haben viel höhere Verwaltungskosten, müssen die Zahnärzte teurer bezahlen und Gewinn erwirtschaften. Die 7,50 Euro, die der Verband der Privatversicherungen (PKV) zu Beginn der Reformdebatte einmal als Angebot genannt haben, galten nur für den Fall, dass sie die gesamte Bevölkerung versichern dürften.
Dies wird ihnen nun kaum gelingen: Kein Wunder also, dass die Privaten gestern aufheulten. Eine „falsche Weichenstellung“ beklagt der PKV-Direktor Volker Leienbach. Er sehe nicht, wie es einen fairen Wettbewerb geben könne zwischen einem gesetzlichen umlagefinanziertem System und privaten Versicherungen, die den Gesetzen der Privatwirtschaft unterlägen. Die Privaten werden nun jedoch versuchen, neue Kunden mit Kombi- und Sonderpaketen anzuwerben: Etwa nicht bloß die Hälfte, sondern 70 Prozent und mehr des Zahnersatzes abzusichern. „Natürlich werden die weiter Rosinenpickerei betreiben, und wir müssen weiter die ganzen Härtefälle absichern“, erklärte gestern ein AOK-Experte.
Doch die Privaten werden nun auch keine Unterstützung der Union mehr bekommen: Unions-Verhandlungsführer Horst Seehofer, von Anfang an Gegner von „Privatisierungsorgien“, war gestern zufrieden: Der „Weg ist frei“, damit der Bundestag und Bundesrat die Gesundheitsreform im September beschließen können, sagte er. Die beiden CDU-Verhandler Andreas Storm und Annette Widmann-Mauz, die das Privatisierungsargument stark vertreten hatten, erklärten: „Wir können dieses Paket mittragen.“
Gesundheitsministerin Ulla Schmidt war überzeugt, dass das Gesamtpaket der Reform sozial gerecht und ausgewogen, die großkoalitionäre Zusammenarbeit ein Vorbild auch für Pflege- und Rentenreform sei. Ihre Definition von „gelungener Wettbewerb“ lautete so: „Wir haben eine Lösung gefunden, die die gesetzliche Krankenversicherung stärkt.“ Die Privaten könnten gern „weiter nach ihren Bedingungen arbeiten“ – sprich: ihr gestohlen bleiben.