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Archiv-Artikel

Lobbyisten im Rettungsboot

Ein Jahr nach der Flut, Teil 3: Das Elbehochwasser macht deutlich, dass Flut- und Naturschützer gemeinsame Interessen haben. Vordeichflächen helfen Mensch und Natur. Umweltminister Trittin: Wer im Überschwemmungsgebiet baut, ist selbst schuld

aus HamburgVERA STADIE

Die Elbe hat trotz aller Dämme an ihren Ufern auch heute noch so viele natürliche Überschwemmungsgebiete wie kaum ein anderer mitteleuropäischer Fluss. Ihrer Grenzlage während des Kalten Krieges verdankt sie den größten zusammenhängenden Auenwald Mitteleuropas. Die Elbauen beherbergen zahlreiche gefährdete Tier- und Pflanzenarten. Hier rasten Scharen von Kranichen, Störchen und anderen Zugvögeln, hier haben Biber und Otter überlebt. Die Hochwasserkatastrophe des vergangenen Sommers hat die Chance erhöht, dass diese Naturlandschaft erhalten bleibt. Denn die Experten sind sich einig: Der Strom braucht eher mehr als weniger Überflutungsgebiete, in denen er sich austoben kann.

Vom Überflutungsgebiet nur 20 Prozent übrig

Deutlich wurde das auf einem Symposium der Partnerschaft „Lebendige Elbe“ von Gruner+Jahr und der Deutschen Umwelthilfe zur „UNESCO-Weltkulturlandschaft Elbe“ in Hamburg. „Wir sind der Natur auf den Leib gerückt“, sagte Professor Heinrich Reincke, der Leiter der Hamburger Wassergütestelle Elbe. Im deutschen Abschnitt Stroms sind mittlerweile nur noch etwa 15 bis 20 Prozent der natürlichen Überschwemmungsgebiete erhalten. Naturschützer fordern seit langem mehr Freiheit für den Strom. Der sächsische Minister für Umwelt und Landwirtschaft Steffen Flath (CDU) sprach sich für Rückverlegung der Deiche aus, die Deutsche Umwelthilfe für die Schaffung neuer Überschwemmungsgebiete direkt an den Flussläufen.

Neu sind diese Ideen nicht: „In Dresden haben wir immer versucht, dem Fluss auch seine Freiheiten zu lassen“, sagte Rainer Pfannkuchen, der Leiter der dortigen Naturschutzbehörde nicht ohne Stolz und zeigte Dias von einer Schafherde auf den Elbwiesen. Doch mit der Elbeflut vor einem Jahr ist Hochwasser- und Umweltschützern klar geworden, dass es den häufig zwischen ihnen postulierten Interessengegensatz nicht gibt. Sie sitzen im selben Boot.

Denn die Elbe und ihre Auen haben, wie Pfannkuchen feststellte, „hervorragende Bedeutung für den Naturschutz in Mitteleuropa“. Zugleich gehört die Vergößerung der Überschwemmungsgebiete „zu den wirksamsten Maßnahmen des Hochwasserschutzes“, wie Jochen Schanze vom Leibnitz-Institut für Ökologische Raumentwicklung IÖR auf dem Symposium erklärte.

„Die naturnahe Gestaltung der Fließgewässer verzögert den Hochwasserabfluss,“ bestätigt Reincke von der Wassergütestelle Elbe. Und Hardy Vogtmann, Präsident des Bundesamtes für Naturschutz fordert: „Die Elbe braucht mehr Auwälder als Hochwasserpuffer“.

Auch das von Umweltminister Jürgen Trittin (Bündnis 90/ Die Grünen) Anfang des Monats vorgelegte Hochwasserschutzgesetz verfolgt das Ziel, den Flüssen mehr Raum zu geben. Die Bundesländer sollen, ausgehend vom so genannten 100-jährlichen Hochwasser, Überschwemmungsgebiete und überschwemmungsgefährdete Gebiete – zum Beispiel Flächen, die bei Deichbrüchen überflutet werden – festlegen und unter Schutz stellen. Sie müssen darüber hinaus Rückzugsräume schaffen, in die das Hochwasser ausweichen kann, sie müssen Deiche verlegen, Auen erhalten und wiederherstellen.

Dafür muss nach der Auffassung von Otto Malek, dem Vorsitzenden der Arbeitsgruppe „Hochwasserschutz“ der Internationalen Kommission zum Schutz der Elbe (IKSE) zunächst einmal das Bewusstsein in den Kommunen und in der Öffentlichkeit geschaffen werden. Die hochwassergefährdeten Gebiete an Europas Flüssen seien bisher überall eher verschwiegen worden, sagte Ministerialrat Malek.

Gefährdete Gebiete bisher verschwiegen

Jochen Schanze wünschte sich die Entstehung einer „gesellschaftlichen Risikokultur“. Der traditionelle Hochwasserschutz sei mittlerweile ungeeignet. Schanze forderte stattdessen ein “Hochwasser-Risikomanagement, das sich an natürlichen Abflussprozessen orientiert“. Bis dahin wird noch viel Wasser die Elbe hinunterfließen.

„Das Wiedergewinnungspotenzial liegt bei den landwirtschaftlich genutzten Flächen, denn die potenziellen Schäden sind dort am geringsten“, erläuterte Malek auf dem Elb-Symposium. Einfacher ausgedrückt: Die Deiche vor Äckern und Wiesen zu öffnen, kostet weniger, als Wohn- oder Industriegebiete für Überflutungsflächen aufzugeben. Aufgrund von Kosten-Nutzen-Erwägungen soll der Ackerbau aus den Elbauen verdrängt werden. Dass die Grundeigentümer davon nicht leicht zu überzeugen sind, weiß auch der Ministerialrat: „Neue Überschwemmungsgebiete sind nur sehr langsam zu schaffen“, prognostizierte Malek.

Das neue deutsche Hochwasserschutzgesetz sieht vor, dass die landwirtschaftliche Bodennutzung in den hochwassergefährdeten Gebieten bis Ende des Jahres 2012 einzustellen ist. Man wolle den Bauern nichts Böses, so Bundesumweltminister Trittin, aber Grünlandnutzung habe im Überschwemmungsgebiet erste Priorität.

Außerdem müsse Schluss damit sein, „dass Wohngebiete, Industrieanlagen und Gewerbeflächen den Flüssen in den Weg gebaut und dass dadurch erneut Milliardenschäden bei der nächsten Flutwelle programmiert werden.“ In Überschwemmungsgebieten dürften grundsätzlich keine neuen Bau- und Gewerbegebiete mehr ausgewiesen werden. „Wer heute noch im Überschwemmungsgebiet bauen will, der hat nichts gelernt und der kann nicht mehr erwarten, dass diese Gesellschaft im Schadensfall noch einmal einspringt“, betonte Umweltminister Trittin.

Tatsächlich wird an der Mittelelbe geplant und gebaut, als hätte es keine Flut gegeben. Eins von vielen Bauprojekten in den Flussauen ist das Neubaugebiet Röderau in der Nähe der Stadt Riesa. Vor einem Jahr haben die Wassermassen in Röderau 70 Neubauten zerstört und 300 Menschen obdachlos gemacht. Inzwischen sind genau dort, wo voraussehbar das nächste extreme Hochwasser wüten wird, mit Geld von Versicherungen und Hilfsorganisationen die ersten Wohnhäuser wiederhergestellt worden.

450 Hektar Spielraum für den Bösen Ort

Es gibt auch gute Nachrichten von der Elbe, zumindest aus der Lenzener Elbtalaue in Brandenburg. Zwischen Schnackenburg und Lenzen hat die Deutsche Umwelthilfe jetzt im Rahmen ihres Projektes „Lebendige Elbe“ dem Fluss 450 Hektar Überflutungsfläche zurückgegeben. Am „Bösen Ort“, wo seit Jahrhunderten Hochwasser ihr Unheil anrichteten, wurden die Deiche zurückverlegt und die ursprüngliche eine Auenlandschaft wieder hergestellt.

„Die Rückverlegung des Deiches gibt der Elbe bei Hochwasser mehr Raum zur Ausdehnung und sorgt so für besseren Hochwasserschutz für die Menschen“, so Hardy Vogtmann vom Bundesamt für Naturschutz. „Diese Naturschutzmaßnahme ist zukunftsweisend, weil sie nicht nur Hochwasser abpuffern kann, sondern auch zu einer stärkeren Kooperation von Wasserwirtschaft und Naturschutz beiträgt.“ Davon werden, so hofft die Deutsche Umwelthilfe, Tierarten wie Biber, Wachtelkönig, Knäkente, Rotbauchunke, Laubfrosch und Seeadler profitieren.