piwik no script img

Archiv-Artikel

Rübe ab, Fischler!

Nach 40 Jahren EU-Gängelei und Subventionitis will der EU-Agrarkommissar den Zuckermarkt umkrempeln. Raffinerien drohen mit Schließung, die Landwirte sind stinksauer. Ein Besuch bei Bauer Meyer-Everloh in Everloh

aus Everloh Kai Schöneberg

Alle jammern, aber ihnen hat der schlimme Sommer gut getan. „Der Blattapparat ist groß und grün, die Rübe sieht gesund aus“, sagt Klaus Meyer-Everloh aus Everloh. Der Zuckerrüben-Bauer aus dem kleinen Flecken im Westen von Hannover zieht eine herzförmige Beta vulgaris aus dem Feld und frohlockt: „Bis zur Ernte Mitte September wird sie sogar noch doppelt so groß“. Im Juni hat Meyer-Everloh (38) zum ersten Mal seine Stimme bei einer Europawahl abgegeben, weil er dachte, „ich kann da was bewegen“. Wenige Wochen später trieben ihm die Pläne von EU-Agrarkommissar Franz Fischler Zornesröte in die Wangen. „Das bedeutet die absolute Wegrationalisierung der Zuckerrübe aus Teilen Deutschlands“, sagt Meyer-Everloh.

Brüssel will Europas Zuckerproduzenten ans Portemonaie. Nach 40 Jahren EU-Gängelei und Subventionitis soll der Zuckermarkt umgekrempelt werden (siehe Kasten). Die Bauern schreien auf. „Wenn es um die Rübe geht, geht es um alles“, sagt Meyer-Everloh. Deutschlands zweitgrößter Zuckerproduzent Nordzucker droht, dass nicht alle der 16 Werke Fischlers Vorschläge überleben würden. „Saatgut, Forschung, Handwerk, Raffinerien – die EU-Pläne vernichten allein in unserer Region mindestens 12.000 Arbeitsplätze“, wütet Gerhard Borchert, Vorsitzender des Dachverbands der Norddeutschen Zuckerrübenanbauer (DNZ), der in Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt die meisten Rübenbauern vertritt. Rund um Hildesheim liegt eines der größten Anbaugebiete für Zuckerrüben auf dem Kontinent, aus Niedersachsen kommt jeder vierte der 50.000 deutschen Anbauer der „Königin der Feldfrüchte“.

Noch stoßen sich nicht wenige Landwirte an den Quoten und Garantiepreisen für die Rüben gesund. Auch Meyer-Everloh verdient mit. In seinen Adern fließt Bauernblut: Seit fast 400 Jahren ist der Hof in Familienbesitz. Eine 38,5 Stunden-Woche kennt er nicht, „natürlich fegen wir selber“. Als Knirps hat er für 50 Pfennig die Stunde Melde und Nesseln aus den Rübenfeldern gejätet, heute harken die Kinder der drei Bauernkollegen, mit denen Meyer-Everloh vor 16 Jahren eine GbR gegründet hat, um sich Trecker und Pflüge zu teilen. Auch die Ernte des Streitobjekts übernimmt heute für 40 Höfe in der Region der „Rübenroder“.

Auf gut einem Viertel der gut 200 Hektar Ackerland der Everloh’schen Kooperative wachsen die Zuckerknollen, streng nach Vorgaben der Nordzucker, die die Quote aus Vorgaben aus Brüssel entwickelt. Wieviel Rüben Meyer-Everloh an die Raffinerie liefern darf, ist natürlich geheim. Meyer-Everloh: „Die Quote geht außer Nordzucker und uns niemand etwas an.“ Nur soviel: Auf Meyer-Everlohs Feldern grünen derzeit etwa 50 Millionen Rüben. In guten Jahren lässt sich daraus gut eine Million Pfund Karies-Macher erzeugen. Damit gehört Meyer-Everloh schon zu den Größeren im Zucker-Monopoly.

Die Kartoffel ist unrentabel geworden, und „seitdem Aldi und Lidl ins Frischfleischgeschäft eingestiegen sind, sind die Schweinepreise auch nicht besser geworden“, sagt der Bauer. Und jetzt also die Rübe, „die bislang die Mängel in anderen Bereichen ausgeglichen hat“. Die Fischler-Pläne gingen „in Richtung der Hälfte des Rüben-Einkommens“, sagt Meyer-Everloh. Auch, dass die Dritte Welt einen größeren Teil vom Kuchen abbekommen könnte, lässt er nicht gelten. „Unser Geld landet dann bei drei Zuckerbaronen in Brasilien.“

Sein Verband hat ausgerechnet, dass ein Durchschnitts-Rübenbauer durch die Fischler-Pläne 900 Euro Umsatz pro Hektar verliert, für Meyer-Everlohs Bauern-Firma wären das satte 45.000 Euro. Er hat Schilder an den Feldern aufgestellt, die die Rübe „als Geschenk der Natur“ preisen. „Die Zuckerrübe bedeutet für die Region Photosyntheseleistung bis Mitte November“, sagt Meyer-Everloh. Die Pläne aus Brüssel seien „nach klaren menschlichen Verstand nicht umsetzbar“. Soll er etwa Gen-Tomaten anbauen?

Noch muss die Rübe im August etwas Sonne abbekommen, damit der Zuckergehalt stimmt, noch sind die EU-Pläne nicht Wirklichkeit. „Wir waren bei Frau Künast und haben ihr die Situation beschrieben“, sagt Verbandschef Borchert. Im Herbst gebe es zudem erst mal einen neuen Agrarkommissar. Landwirt Meyer-Everloh lächelt zuckersüß und bauernschlau: „Abgerechnet wird bei allen erst am Ende“.