: Der Transrapid des Radios
Seit den 80er-Jahren gibt es Digitalradio (DAB). Seit fünf Jahren wird sein Durchbruch beschworen – doch er wird wieder nicht kommen, weil die Hersteller keine günstigen Geräte auf den Markt bringen
von JÜRGEN BISCHOFF
Preisfrage: Es wurde vor Jahrzehnten in Deutschland entwickelt, die Technik ist gut, seit Jahren gibt es Referenzinstallationen und massive Unterstützung durch die Politik, das Interesse der potenziellen Nutzer dagegen tendiert gegen null und gebaut wird in China.
Falsch: Nicht vom Transrapid ist die Rede, sondern von DAB (Digital Audio Broadcasting), dem Standard, der Radio fast in CD-Qualität liefert und eigentlich das UKW-Radio ablösen soll.
Mittlerweile zum fünften Mal wird auf der heute beginnenden Internationalen Funkausstellung (IFA) der Durchbruch von DAB beschworen – und er wird wieder nicht kommen. Dabei zählt das Argument, der Standard für digitales Fernsehen, DVB-T, könnte auch zusätzlich Radio liefern nur bedingt. Eine flächendeckende Einführung von DVB-T ist nämlich beim gegenwärtigen Stand der Diskussion zweifelhaft.
Bei DAB liegt es nicht an den Rundfunkveranstaltern, den Sendenetzbetreibern, der Politik, den fehlenden Geldern oder mangelnden neuartigen Programmen. Da ist in den vergangenen Jahren genug passiert. Mittlerweile ist praktisch ganz Deutschland mit einem DAB-Sendernetz für mindestens zwölf Radioprogramme überzogen. Die Öffentlich-Rechtlichen betreiben massenhaft DAB-Wellen, und selbst die Privatsender haben sich noch immer nicht ganz zurückgezogen.
Es sind schlichtweg die Geräteindustrie und der Handel, die sich seit Jahren nicht bemüßigt fühlen, billige Empfangsgeräte auf den Markt zu bringen.
Aktiv sind in Deutschland ohnehin nur Blaupunkt und Grundig sowie einige sehr kleine Geräteschmieden. Bei Grundig lässt die Lage des Unternehmens derzeit keine Marktexperimente zu. Und Blaupunkt – einst der führende DAB-Entwickler in der Industrie – beackert borniert nur den Autoradiomarkt. Doch Autokonzerne wie VW, die einen Massenstart der Geräte in Gang bringen sollen, zeigen sich wenig zufrieden mit den Blaupunkt-Geräten. Auch die Japaner wie Sony und Panasonic bieten zwar DAB-Geräte an, aber die wurden seit Jahren nicht weiterentwickelt.
Alle Welt starrt mittlerweile auf England. Auf der Insel scheint es mit DAB endlich voran zu gehen. Mehr als 135.000 Geräte waren dort bis Ende 2002 (Schätzungen für Deutschland pendeln zwischen 20.000 und 50.000) verkauft worden, und für dieses Jahr peilt man die Gesamtmarke von 350.000 Empfängern an.
Dort stehen die ersten Küchenradios für unter 100 Pfund (zirka 150 Euro) in den Schaufenstern. Und die ersten großen Mediensupermärkte haben DAB-Radios in ihr Sortiment aufgenommen. Das Baseler Forschungsinstitut Prognos empfiehlt daher in einer jüngsten Studie auch der deutschen Rundfunk- und Gerätewirtschaft, nach dem englischen Modell vorzugehen.
Doch dieser Ratschlag verkennt viele britische Eigentümlichkeiten. So hat sich auch auf der Insel die Industrie lange geweigert, überhaupt billige Empfangsgeräte zu entwickeln. Erst als der private DAB-Sendernetzbetreiber Digital One, der teilweise den großen privaten Radiogruppen in Großbritannien gehört, mit Millionenaufwand eine Gerätestudie für ein Billigradio in Auftrag gab, kam der Empfänger auch in einige – wenige – Läden. Und gebaut wurde er in China – ein Armutszeugnis für eine Technologie, die in den 80er-Jahren in Europa entwickelt wurde, um der heimischen Industrie wieder einen Wettbewerbsvorteil gegenüber der fernöstlichen Konkurrenz zu verschaffen.
Glyn Jones, Betriebsdirektor bei Digital One, warnte im April vor übertriebenen Hoffnungen auf ein Billigradio: „Für euch in Deutschland wird so ein Gerät gleich 50 Prozent mehr kosten, weil ihr noch weitere Frequenzbereiche abdecken müsst.“ Also ab 225 Euro aufwärts. Hoffnungen, dass die englische Industrie die Rolle übernehmen könnte, die weder Blaupunkt noch Sony oder Philips spielen wollen, und die kontinentaleuropäischen Märkte mit Billiggeräten versorgt, dürften ebenfalls übertrieben sein. Bei den Geräteherstellern auf der Insel handelt es sich meist um kleine Firmen der zweiten oder dritten Garde, die über keinerlei Vertriebsstruktur in Resteuropa verfügen.
Die Politik hat in Teilbereichen erkannt, dass etwas getan werden muss für die Einführung von DAB. Von Kurt Beck bis zum Direktor der NRW-Landesanstalt für Medien, Norbert Schneider, hat sie im Laufe dieses Jahres noch einmal mehrere Versuche unternommen, mit den Beteiligten ins Gespräch zu kommen. Die Bundesregierung will sogar im jetzt anstehenden neuen Telekommunikationsgesetz den Stopp des UKW-Radios für 2015 festschreiben. Und heute lädt die ARD noch mal zu einer großen Podiumsdiskussion im Rahmen der IFA ein.
Letztlich aber führt kein Weg an der Erkenntnis vorbei, dass DAB ohne ein massives Engagement von Geräteindustrie und Handel innerhalb der nächsten zwei Jahre gestoppt werden muss.