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Archiv-Artikel

Höhenangst auf dem Stahlgipfel

Wirtschaftsverbände erwarten ein Abflachen des Stahl-Booms. Die Großkonzerne des Ruhrgebiets legen Sparprogramme auf. Gewerkschaften fordern größere Unabhängigkeit von Rohstoffpreisen

„Wir müssen uns warm anziehen für die Zeit, in der der Weltmarkt abflacht“

VON KLAUS JANSEN

Boomt sie nun oder boomt sie nicht, die nordrhein-westfälische Stahlindustrie? Sie boomt, noch, ist die Antwort der Wirtschaftsverbände. Nach den Rekordaufträgen der vergangenen Monate aufgrund der steigenden Nachfrage nach Stahl aus den Entwicklungsländern erwarten Wirtschaftsverbände nun ein Abflachen der Auftragskurve. Die Stahlproduzenten haben bereits vor Monaten Sparprogramme aufgelegt, um für schlechtere Zeiten gerüstet zu sein.

„Die Nachfrage wird nicht abstürzen, aber auf hohem Niveau abflachen“, sagt Beate Brüninghaus von der Düsseldorfer Wirtschaftsvereinigung Stahl. Das mit 25 Prozent Steigerung im Vergleich zum Vorjahr enorme Wachstum der Aufträge sei auf „Angstbestellungen“ wegen befürchteter Preiserhöhungen zurückzuführen. „Das war überhöht“, sagt sie. Die Renditen der deutschen Stahlbranche seien der guten Auftragslage zum Trotz immer noch recht gering.

Diese Erkenntnis haben – allerdings schon vor dem Boom – auch die großen Stahlproduzenten des Ruhrgebiets gemacht: ThyssenKrupp Stahl kündigte in der vergangenen Woche an, bis zum Jahr 2007 jährlich 200 bis 250 Millionen Euro einzusparen. Bis zu 1.100 Arbeitsplätze könnten wegfallen, hieß es. Bei den Hüttenwerken Krupp Mannesmann (HKM) stehen bis zu 570 Jobs auf dem Spiel. Grund für den Stellenabbau ist nach Angaben der Unternehmen der harte Konkurrenzdruck durch den Weltmarktführer Arcelor. „Wir müssen uns warm anziehen, wenn der Weltmarkt abflacht“, sagte ein HKM-Sprecher der taz. Die Arbeitnehmervertreter tragen die Sparmaßnahmen weitestgehend mit, der HKM-Betriebsrat soll dem Stellenabbau bereits zugestimmt haben.

Doch nicht nur bei den Produzenten rumort es: Vor allem mittelständischen Stahlverarbeitern bereiten die hohen Stahlpreise Probleme. Nach Schätzungen der Wirtschaftsvereinigung Stahl- und Metallverarbeitung (WSM) sind allein in Nordrhein-Westfalen bis zu 20.000 Arbeitsplätze gefährdet, bundesweit sind es 40.000. Für WSM-Hauptgeschäftsführer Andreas Möhlenkamp machen die Einsparpläne der Produzenten deshalb durchaus Sinn: „Es ist nie verkehrt, Fett zu entschlacken, wenn die Einsparungen auch an die mittelständischen Kunden weitergegeben werden“, sagt er. In Zukunft sei es aber vor allem nötig, „in die Rohstoffdiskussion einzusteigen“, so Möhlenkamp. Wichtig sei eine Debatte über die nachhaltig sichere Versorgung der Industrie, auch mit eigenen Ressourcen. „Das gehört auf die politische Agenda“, sagt er.

Auch die Gewerkschaften fordern eine Ressourcen-Diskussion: „Die hohen Rohstoffpreise belasten die Unternehmen viel mehr als die Personalkosten“, sagt Friedhelm Matik, Leiter des Düsseldorfer Stahlbüros der IG Metall. Kosten einzusparen müsse nicht heißen, Köpfe einzusparen, man müsse statt dessen die Rohstoff- und Energieversorgung überdenken. „Man muss sich wirklich mal überlegen, warum man eine Kokerei Kaiserstuhl in Dortmund abbaut, und dann teures Koks importiert“, sagt Matik. Dass allein die Situation auf dem Rohstoffmarkt für die Sparmaßnahmen der Industrie verantwortlich ist, glaubt er nicht. „Das wird als Hebel benutzt, um zu rationalisieren. Der Shareholder wird bedient“, sagt er. Den Unternehmen wirft er „Jammern auf hohem Niveau“ vor – denn schließlich werde in Deutschland mehr Stahl produziert denn je.