piwik no script img

Archiv-Artikel

Ungestörter Kunstgenuss

Wie ein Revolutionär gegen das Stadttheater wird der Regisseur Armin Holz gefeiert. Dabei sind seine Inszenierungen eher sehnsuchtsvolles Kunstgewerbe. Jetzt brachte er eine „Salomé“ heraus

von ESTHER SLEVOGT

Mit dem Regisseur Armin Holz ist es wie mit dem Ungeheuer von Loch Ness. Alle paar Jahre taucht er aus dem Sommerloch auf und verursacht einen ausgesprochenen Medienrummel. In allen Feuilletons wird dann die Fama vom genialischen Außenseiter und manischen Überzeugungstäter – „Der Vogelfreie“ nannte ihn die Zeit – verbreitet, der den von Stadttheater-Durchschnittsware ausgetrockneten Kunstfreunden in seltenen Sternstunden einen seiner Solitäre präsentiert. Hymnische Vorab-Porträts überwiegen, die Rezensionen besagter Stücke fallen meist nicht so euphorisch aus.

Möglich also, dass der Mann mehr Talent für PR als fürs Inszenieren hat. Seine Vita ist so schmal, dass sie jeder Personalchef sofort beiseite legen würde. Sechs Inszenierungen in vierzehn Jahren. Trotzdem wurde Holz in diesem Jahr im Vorfeld seiner Inszenierung der „Salomé“ nach Oscar Wilde zum Retter des Theaters hochgeschrieben. Natürlich verdient jemand, der in Zeiten knapper Kulturhaushalte altgediente (wenn auch leicht verblichene) Theaterlegenden ganz ohne Subventionen auf die Bühne holt (und Promifriseur Udo Walz dazu bringt, völlig unentgeltlich den Darstellern das Haar zu richten), Respekt. Angesichts der Aufführung ist das Missverhältnis zwischen Lob und Qualität jedoch ausgesprochen irritierend. Selbst der Spiegel brachte schließlich seitenlange Ovationen und pries Holz als salzburgkompatible Alternative zum subventionierten Staatstheater.

Schon die Bühne in der ehemaligen Probebühne der Schaubühne in der Kreuzberger Cuvrystraße (Jakob Mattner und Armin Holz) sieht aus wie die Kulisse einer leicht verstaubten Bibelverfilmung: eine steile, weiß getünchte Treppe mit Öffnung am oberen Ende, aus der im Verlauf der neunzig Minuten, die der von kaum einem Regieeinfall getrübte Abend dauert, das antike Personal auftritt: König Herodes (Hans-Michael Rehberg) nebst Gattin Herodias (Ingrid Andree) und Prinzessin Salomé (Jeanette Hain). Bloß das Fußvolk, ein Page (Sabine Wegner) und ein Hauptmann (Stephan Szász), agiert ebenerdig.

Ein anderer Protagonist, der finstere Prophet Jochanan (Dieter Laser), im christlichen Abendland besser bekannt unter dem Namen „Johannes, der Täufer“, sitzt irgendwo unter der Treppe. Dort darf man sein Gefängnis vermuten. Zu lauthals predigte er gegen die verlotterten Sitten. Jetzt ist er eingesperrt, und man hört seine fundamentalistischen Tiraden meistens aus dem Off. Damit es auch in der letzen Reihe verstanden wird, geht dann unter der Treppe das Licht an.

Auch sonst neigt die Aufführung dazu, mit dem Zaunpfahl zu winken. Manieriert zerdehnt die lustgeplagte Salomé die Worte „Jo-cha-na-an!“ Rhythmisch trommelt ein ebenfalls liebeskranker Hauptmann (Stephan Szàsz) dazu auf den Boden. Rehbergs Herodes blickt auch meistens ziemlich gequält. Ingrid Andrees Königin windet gelegentlich ihre zierlichen Arme verzweifelt-dekorativ in die Höhe und ist ansonsten ganz vornehme alte Dame. Kaum zu glauben, dass dieses Muster an Distiguiertheit in blauer Robe (Kostüme: Claudia Skoda) identisch mit der Person sein soll, deren lasterhafter und promisker Lebenswandel dem keuschen Propheten das turbanbekränzte Gesicht zu Grimassen des Ekels gefrieren lässt.

Eigentlich ist Dieter Laser der Lichtblick des Abends, denn er spielt den Jochanaan, als wollte er die Figur des Ussama Bin Laden für die Sesamstraße aufbereiten: eine Mischung aus Kermit und Karl Valentin. Er windet den sehnigen Körper, heult auf im Entsetzen über diese verlotterte Welt. Leider wird bloß nie ganz klar, ob Laser nun freiwillig oder unfreiwillig komisch ist. Auch ist nicht ganz schlüssig, was ihn eigentlich für die schöne Salomé so anziehend macht. Nur in ein paar wenigen Momenten holt die Aufführung dazu aus, einen Kommentar zum aktuellen Konflikt zwischen Orient und Okzident zu liefern. Ansonsten gefällt sie sich in Arrangements und bleibt in der Pose stecken. Wenn sie nicht gerade sprechen oder leiden, stehen die Schauspieler dekorativ herum. Mit der Zeit dann breitet sich Öde aus.

Gelegentlich fühlt man sich in Zeiten ästhetisch ambitionierter, aber handwerklich unterbelichteter B-Produktionen der letzten Jahre der Schaubühnenära Breth zurückversetzt. Was man so gar nicht weiter übel nehmen müsste, wenn Armin Holz nicht so große Töne spucken würde: als müsse neben seinem Genie eine ganze Branche verblassen. Dies Selbstverständnis bleibt nicht nur eine überzeugende Aufführung schuldig, es ist auch gefährlich, weil es so epidemisch und kritiklos nachgebetet und plötzlich als Argument gegen subventionierte Theaterkunst ins Feld geführt wird. Dabei ist dieser Abend nichts weniger als eine Alternative zum Stadttheater. Vielmehr verkörpert er in seiner Eindimensionalität die Sehnsucht danach. Und nach den guten, alten Zeiten ungestörten Kunstgenusses: als Theater noch keine zeitgenössischen Multimediabetriebe und diskursverarbeitenden Kulturinstitutionen waren.

Weitere Aufführungen in der Probebühne Cuvrystraße 4., 11., 14. September jeweils 21 Uhr