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Archiv-Artikel

Auf dem Holzpferd

Country ist eine heikle Sache, vor allem wenn deutsch gesungen wird. Die Hamburger Band Fink hat einen Ausweg aus diesem Dilemma gefunden

von THOMAS WINKLER

Fink, so heißt es, spielen Country. Countrymusik mit deutschen Texten. Deutschen Country, der vergessen macht, was Truck Stop oder Gunther Gabriel verbrochen haben. Country, der schlau ist und doch nicht verkopft, der rührt, ohne jemals kitschig zu werden. Dafür werden Fink gelobt von Kollegen und Kritik.

Nur Fink selbst, die sehen das anders. Für sie selbst ist das, was auf ihren neuen Album „Haiku Ambulanz“ vorliegt, längst kein Country mehr, sondern eine Sammlung urbaner Songs: Alltagsbetrachtungen in mitunter zeitlosen Melodien, die mal mit Banjo und Pedal-Steel-Gitarre illustriert werden, aber auch mit dem Computer bearbeitet sind. „Man möchte ja spannend sein“, sagt Nils Koppruch, Sänger, Gitarrist und Songwriter der inzwischen zum Duo geschrumpften Band aus Hamburg. „Country ist eine heikle Sache“, ergänzt Partner Andreas Voss. „Mich interessiert Musik vor der Kommerzialisierung: Volksmusik eben, die sich nicht verkaufen soll, sondern die Leute für sich oder ihr Dorf gemacht haben.“

So tummelt sich auf „Haiku Ambulanz“ denn auch ein ganzer Bauernhof: Der Hahn muss dran glauben, ein Hund verfolgt seinen eigenen Schwanz und die Fliegen kreisen um den Lampenschirm. Nur Pferde, die fehlen. Pferde wären denn doch zu aufdringlich. Denn von den Klischees des Genres haben sie Fink stets fern gehalten. Nach ersten Versuchen mit englischen Texten begann Koppruch schnell, auf Deutsch zu schreiben. Das war Mitte der Neunziger und Fink waren damals neben F.S.K. aus München die einzige Band, die versuchte, Country eine deutsche Dimension zu geben. Mit Erfolg: Wenn Fink „Autobahn“ von Kraftwerk spielten, klang dieser Klassiker der elektronischen Musik plötzlich wie ein Road-Song von Johnny Cash.

Andere Versuche, aus dem deutschen Underground heraus sich der Musik von Hank Williams, Waylon Jennings oder Willie Nelson zu nähern, glitten bewusst ins Parodistische: so bei Even Cowgirls Get the Blues oder den Jever Mountain Boys.

Genau das wollten Koppruch und Voss nicht – aber wer sich ernsthaft mit Country beschäftigte, dem blieben nur wenige Möglichkeiten. F.S.K. versuchten, die Gemeinsamkeiten und das Trennende zwischen europäischen und amerikanischen Volksmusiken herauszuarbeiten. Das klang bisweilen so akademisch, wie es sich liest.

Fink dagegen suchten einen anderen Weg: Sie ließen sich zwar ganz auf Country-Twang und akustische Folk-Seligkeit ein. Aber im Laufe der Jahre entwickelten sie – mit wechselnden Besetzungen und über nun fünf Alben hinweg ihren ganz eigenen Stil, bei dem die tradierten Versatzstücke bewusst durch artfremde ergänzt werden. So spielt Koppruch auf „Haiku Ambulanz“ zwar oft und gern sein Banjo. Andererseits aber finden sich immer wieder Blasinstrumente eingestreut, die im Country eigentlich gar nichts zu suchen haben. Gern setzen sie seltsame Rhythmen ein, ob Shuffle oder Rumba, und auf dem neuen Album sind sogar erstmals elektronische Beats zu hören. Dazu fügt sich der sehr hanseatische Gesang von Koppruch, der stets ein spöttisches Lächeln um die Mundwinkel zu tragen scheint und dessen Stimme oft fast metallisch abgemischt, verfremdet und so ein wenig entmenschlicht wirkt.

Früher kündeten Koppruchs Texte vor allem vom Miteinander der Geschlechter, dazu badete er in Metaphern aus der Seefahrt und ozeanischen Anspielungen. „Ich weine einen Fluss“, sang er damals. Heute heißt es dagegen ganz direkt: „Ich will in deinen Augen liegen.“ Auch das ganze Getier, das sich tummelt, ist neu. „Kein Konzept“, beteuert Koppruch, verstecke sich hinter dieser Häufung des Animalischen, aber doch seien „ein paar der Songs geschrieben worden, um wie in einer Fabel menschliche, soziale Strukturen zu beleuchten“. Der Blick geht also nicht mehr von außen auf die inneren Beziehungen, sondern erstmals aus dem Mikrokosmos hinaus auf die größeren Zusammenhänge: „Ich seh zum Fenster raus“, singt Koppruch dazu.

Bei seinem Blick aus dem Fenster hat Koppruch nun offenbar auch die Modernisierungsverlierer entdeckt: Die Arbeitslosengeld-II-Bezieher und die Menschen, die man demnächst am Gebiss erkennt. „Ich will nicht mehr im Regen stehen“, singt er in „Sonne nicht gesehen“ und in „Der Hahn“ heißt es: „Ich hab bis jetzt in der Schlange gestanden, aber jetzt ist es Zeit, ich will rein“. Doch wie es so seine Art ist, sind solche Textzeilen jederzeit auch ganz anders zu verstehen. „Ich habe keine Lust, in einer Agitationsband zu sein“, windet sich Koppruch, „Allerdings es ist durchaus von mir intendiert, dass man die Texte auch politisch sehen kann.“

Erste Gehversuche in diese neue Richtung unternahmen Fink Anfang des Jahres, als sie zusammen mit den beiden Schauspielern Peter Lohmeyer und Ulrich Tukur den Song „Bagdad Blues“ aufnahmen. Die Single fiel in die Zeit vor dem Irakkrieg, und plötzlich schien die Band im Schulterschluss mit Konstantin Wecker auf unreflektiert pazifistischem Kurs. „Es war mein erster Versuch, so etwas zu machen“, verteidigt sich Koppruch nachträglich. „Natürlich kann das peinlich werden. Aber selbst wenn es angreifbar ist: Scheißegal, zumindest ist es eine Stellungnahme.“

Auf „Haiku Ambulanz“ kommt diese neue, nennen wir sie ruhig: politische Dimension von Fink sehr viel verschlüsselter daher. Trotzdem ist die Band damit dann doch tatsächlich angekommen bei der traditionellen Idee von Country als sozial verantwortlicher Volksmusik. Eine Idee, die in der Country-Kapitale Nashville freilich schon längst ausrangiert worden ist.

Fink: „Haiku Ambulanz“ (Trocadero/Indigo)