Da liegt der strand

Lebensstandort Deutschland (2): In wunderbarer und weltbekannter vielfalt trotzt die berliner nischenkultur seit jeher allen unbilden. Mittlerweile auch an beiden spreeufern

Man fühlt sich ja fast ein wenig veralbert, wenn einem innerhalb weniger tage von drei grundverschiedenen amerikanern der grundgleiche text aufs ohr gedrückt wird: eine „sex and the city“-mäßige pr-tante, die im auftrag einer modefirma durch europa fährt und für jede stadt einen anderen schrankkoffer hat, immer im gefühlten stil ihres jeweiligen betätigungsorts, eine linke künstlerin, die ihren lebensunterhalt mit videoinstallationen verdient, und ein verpeilter musiker, der im waschsalon um die ecke vom travellerhotel seine klamotten schleuderte. Alle finden Berlin toll. Weil es hier so frei ist. Weil alle so creative sind. Weil man tun kann, was man will. Weil alle so dedicated zu ihrer work sind. Wobei work eben die arbeit am kunstwerk des eigenen lebens ist.

Doch dann blickt man sich um, schaut sich etwa an, wie man das letzte wochenende zugebracht hat, und muss feststellen: sie haben recht. Die weltberühmte berliner nischenkultur lebt und gedeiht. Da sitzt man etwa den ganzen samstagnachmittag in einer der zahllosen neuen strandbars an der Spree herum. In der nähe des s-bahnhofs Jannowitzbrücke gelegen, eingeklemmt zwischen dem Deutschen Zentrum für Architektur und jener industrieruine, die vor vielen jahren einmal den plant beherbergte, eine der keimzellen des berliner technonachtlebens, im unterschied zu anderen clubs bis heute unvergessen, weil Wolfgang Tillmans dort mal seine kamera in die sonntägliche morgensonne hielt. Nachdem dort in den vergangenen jahren noch ein paar illegale partys getobt haben, ist das grundstück heute gründlich gesichert – wohl vor allem deswegen, damit sich keines der pferde dorthin verirrt, die augenblicklich nebenan gehalten werden.

Das konzept der bar ist ganz einfach: die betreiber haben ein paar tonnen sand an das spreeufer gekippt, einige dutzend schön gestaltete stühle sowie eine bar für getränke und eine für mediterrane köstlichkeiten aufgestellt, das war’s. Wenn man eine treppe heruntersteigt, landet man in einer bunkerähnlichen betongarage, wo der grenzschutz der DDR einmal seine patrouillenboote geparkt hatte und wo man sich heute auf ledersessel setzen kann, um den eintagsfliegen beim tanz im sonnenuntergangslicht zuzuschauen. Wunderschön. Und auf der anderen spreeseite sind ein paar halbnackte dabei, das dach einer weiteren strandbar zusammenzunageln.

Später geht es dann in einen dieser typischen halblegalen clubs, die es – den beschwörungen eines clubsterbens zum trotz – immer noch gibt: gerade hat er wieder aufgemacht, nachdem das bauordnungsamt einige umbauten gefordert hatte. Das bauordnungsamt verhandelt mit den organisatoren einer solchen lasterhöhle und gibt ihnen das okay, den laden weiter zu betreiben!

Sonntagmorgen dann der neue flohmarkt am mauerpark: früher war hier auch mal eine illegale bar, in einem container, aus dem noch früher einmal ein kohlenhändler seine geschäfte betrieben hatte. Nun erstreckt sich über viele hundert meter ein wunderbarer sonntäglicher flohmarkt, der gerade in seine vierte woche geht. Die händler haben ihn noch nicht entdeckt, dafür verkaufen lauter studentinnen und studenten ihre schallplatten, bücher, hosen und schuhe. Erfreut stellt man fest, dass im großen prozess der privaten informationsträgerumschichtung, für den flohmärkte ja eine der zentralen börsen sind, der house- und technosound der frühen neunziger anscheinend gerade von „halten“ auf „verkaufen“ umgestellt wird. Und noch immer im gleichen nischenhaft organisierten rahmen, in dem die platten einstmals aufgelegt wurden. TOBIAS RAPP