„Exilkonsummesse“
: Surrealer Bunker

In diesem Ambiente kann man einfach keine Pantöffelchen tragen. Schwarze, riesige Gummistiefel müssen es sein, ironische Siglen des Versuchs, sich dem Ort angemessen zu kleiden. Mit den Lettern „EKM“ für „Exilkonsummesse“ sind die Stiefel von Regisseurin Maria Magdalena Ludewig bedruckt – ihre neuen Hausschuhe sozusagen. Für Anheimelung ist ohnehin gesorgt an der Lamellentür, hinter der sie jetzt wohnt: Klingel und Postschlitz samt Zeitungs-Abo funktionieren.

Und doch fühlt es sich ein bisschen an wie Alice‘s Durchschlupf ins Wunderland, hinter der unscheinbaren Tür im U-Bahn-Schacht am Hamburger Hauptbahnhof zu verschwinden, auch wenn innen kein Zauberreich lauert: Den in den 60ern umgebauten Atombunker unter der Kirchenallee hat man soeben betreten, in dem 1.500 Personen zwei Wochen lang überleben könnten. So lange will auch Ludewig (Foto) mit zwölf SchauspielerInnen dort wohnen, proben und performen.

Thema ist die Suche nach Wurzeln: Senioren, Moslems und Knabenchor-Sänger aus dem angrenzenden Stadtteil St. Georg hat sie nach prägenden Erlebnissen gefragt und Geschichten gehört, die immer wieder ins Politische führten. Und die SchauspielerInnen? „Spielen im Rahmen eines Parcours‘ Szenen, die mit ihrer Biographie zu tun haben.“ Aber allzuviel möchte sie nicht verraten, sondern lieber über das Ambiente reden: Nein, es sei kein Zufall, dass sie ihre Recherche im Untergrund betreibe. Und die zeitliche Nähe zum 11. September? Ludewig lächelt fein. „Ich möchte nicht explizit politisch sein, sondern Geschichten erzählen.“ Warum hat sie ihr Projekt „Exilkonsummesse“ genannt? „Weil wir diesen historisch geprägten Raum für unser selbst gewähltes Exil quasi konsumieren.“

Stille bis zur totalen Isolation vermitteln die spärlich beleuchtbaren Räume mit Pritschen und Stuhlreih; ganz schleichend wird das Ganze surreal. Existiert die Welt da droben eigentlich? Und wie hat Ludewig nach ihrer ersten Nacht hier unten die Süddeutsche-Schlagzeile „Al-Qaida plant Anschlag auf Londoner Flughafen“ empfunden? „Als merkwürdiges Zusammentreffen.“ Hat sie das gerade begonnene Leben im Untergrund schon verändert? „Wenn ich jetzt über die Kirchenallee gehe, fühle ich mich wie im Besitz eines großen Geheimnisses. Ich kenne sozusagen die Unterwelt, die ein bisschen wie eine Höhle ist. Prinzessinnen und Lessings Philotas warten hier, und was man mitbringt, schlägt aufgrund der dichten Atmosphäre hundertfach zurück.“ Petra Schellen

Aufbau des „Exilkonsummesse“-Standes: 16.8., 10 Uhr, Hachmannplatz am Hamburger Hauptbahnhof. Performances: 24.–28.8. um 19 Uhr im Bunker. In der Zwischenzeit öffentliche Führungen (unterirdisch) und „Konsum“-Balkon (oberirdisch). www.exilkonsummesse.de