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Archiv-Artikel

Zu viel Arbeit frisst die Seele auf

Psychische Krankheiten sind gerade im Dienstleistungsbereich auf dem Vormarsch. Bertelsmann-Stiftung rechnet mit Ausfällen in Milliardenhöhe. Arbeitsministerium erklärt sich für nicht zuständig

AUS BIELEFELD UWE POLLMANN

Klaus F. ist in seiner Abteilung im Bielefelder Rathaus ein beliebter und zuverlässiger Kollege. Vor einigen Monaten wurde der Endvierziger plötzlich länger krank. Klaus F. wusste zunächst selbst nicht, was los war: Er hatte keine Freude mehr, weder im Büro, noch Zuhause. Erst mit Hilfe einer psychosozialen Beratung erfuhr er, dass er unter Depressionen leidet. Das ist keine Seltenheit mehr im Arbeitsalltag.

„Es liegt an der stärkeren Arbeitsverdichtung durch Stellenstreichung“, sagt Detlef Rietdorf aus dem Personalrat der Bielefelder Stadtverwaltung. „Die Arbeit wird auf immer weniger Schultern verteilt. Das hat zur Folge, dass manche überfordert sind. Die können die einfachsten Sachen nicht mehr erledigen.“

Die Bielefelder Stadtverwaltung ist kein Einzelfall. Gregor Hamsen-Heimann, der seit über sechs Jahren in der psychosozialen und Sucht-Beratungsstelle der Stadt arbeitet, nimmt eine „bedenkliche Tendenz“ in den Betrieben wahr. Es gebe „eine erhebliche Anhäufung von krankheitsbedingten Kündigungen in den letzten ein, zwei Jahren“ im Bereich von psychischen Erkrankungen, stellt der Familientherapeut fest. Entweder entlassen Betriebe aus der Finanznot heraus die erkrankten Mitarbeiter oder die Betroffenen gehen selbst. Psychische Erkrankungen gehörten längst zu den Hauptgründen für eine Frühverrentung, so die Bundesanstalt für Arbeitsmedizin in Dortmund.

Die Kollegen hätten „einfach Druck, der sich nicht mehr wie früher körperlich äußert, sondern seelisch“, sagt auch Carmen Tietjen von der „Mobbing Line“, die DGB, das Land, die Kirchen und die AOK in Nordrhein- Westfalen betreiben. Immer häufiger höre sie von Ängsten, Depressionen, Herzrasen. „Und das ganz häufig aus dem Dienstleistungsbereich. Von Altenpflegern, Erziehern, Sozialarbeitern, aus Krankenhäusern.“

Auch die Kassen beunruhigt diese Entwicklung. Während die Krankmeldungen in den Betrieben rapide abnehmen, würden „depressive Störungen“ nach Angaben der Techniker-Krankenkasse anwachsen und zu einem Ausfall von 18 Millionen Arbeitstagen pro Jahr führen. In der Skala der Gründe für Arbeitsunfähigkeit ständen Depressionen und psychische Störungen immer weiter oben, sagt Karl-Josef Steden von der AOK Westfalen-Lippe. Nach den Skelett-Erkrankungen, den Herz-Kreislauf-Erkrankungen und den allgemeinen Verletzungen tauchten sie an vierter Stelle auf.

Auch im Düsseldorfer Gesundheitsministerium ist das bekannt. Aber „die Ansprechpartner“, heißt es, „sind die Arbeitgeber“. In den Unternehmen jedoch scheint das Thema weiterhin ein Tabu zu sein. Während es in einigen Großbetrieben zwar schon Suchtberatungen gibt, die meistens bei Betriebsräten angesiedelt sind, oder Ansprechpartner für Mobbing ernannt wurden, fehlen Anlaufstellen für Menschen mit psychischen Störungen. Dabei führten diese zu einem Produktionsausfall von „etwa drei Milliarden Euro“, warnt Detlef Hollmann von der Bertelsmann-Stiftung in Gütersloh.

Da müsse von Seiten der Betriebe mehr getan werden, fordert Hollmann. Eine von der Stiftung zusammen gerufene Expertenkommission habe längst Vorschläge für eine „Zukunftsfähige betriebliche Gesundheitspolitik“ erstellt, die auch die psychischen Erkrankungen umfasse. Darin wurde vor allem mehr Verantwortung von den Führungsspitzen für Gesundheitsförderung und Vorsorge gefordert. Das verlangt auch AOK-Sprecher Steden von den Chefetagen: Viel sensibler müssten die Unternehmen das Betriebsklima erfassen.

Auf den Prüfstand gehörten dabei vor allem Arbeitsorganisation und Führungsstruktur, verlangt der Therapeut Gregor Hamsen-Heimann von der Beratungsstelle im Bielefelder Rathaus. Kollegen und Betriebe sollten auf die Mitarbeiter zugehen, das Problem ansprechen, Interesse zeigen, und deutlich machen, dass man sie brauche. Denn „je früher man sich bei diesen Krankheitsbildern behandeln lässt, desto schneller kann die Heilung erfolgen“, sagt der Therapeut. „Und das ist für die Firmen sicher auch aus monetärer Sicht wichtig.“