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Archiv-Artikel

Minister schikaniert eigene Behörde

Hans-Heinrich Sander (FDP) legt seine eigenen Naturschützer an die Kette. Mit seinem „Betretungserlass“ wird die behördliche Bewertung von Naturgebieten entweder zu kompliziert, zu teuer oder gar unmöglich. Behörden schütteln Kopf über ihren Chef

„Wir sind eine Naturschutzbehörde des Landes und kein Detektivbüro“

von THOMAS SCHUMACHER

Ein Erlass des niedersächsischen Umweltministers Hans-Heinrich Sander (FDP) sorgt derzeit in den Umweltbehörden des Landes für Kopfschütteln. Mit dem internen Behördenpapier „Betretungserlass“ möchte der Minister verhindern, dass Grundstücksbesitzer unangemeldet Besuch von Naturschützern bekommen. Die müssen laut Niedersächsischem Naturschutzgesetz (NNatG) aber Naturflächen auf ihre Schutzwürdigkeit hin bewerten. Um den Pflanzen- und Tierbestand in einer Fläche zu dokumentieren, hatten Naturschutzbehörden oder deren Beauftragte bislang freien Zugang zu offenen Naturflächen. Dies schränkt der Minister jetzt ein.

„Wir möchten einfach, dass sich die Behörden oder deren Beauftragte vorher bei den Besitzern ankündigen, mehr nicht“, beschwichtigt ein Sprecher des Umweltministeriums. Hans-Jörg Dahl, Leiter des Naturschutzes im Niedersächsischen Landesamt für Ökologie (NLÖ) ist da ganz anderer Meinung: „Wir empfinden den Erlass als Diskriminierung des Naturschutzes. Denn das Ministeredikt gilt nur für Naturschützer, nicht für Straßenbauer, Vermessungstechniker oder landwirtschaftliche Behörden.“ Wenn er eine Fläche bewerten wolle, müsse er nach dem neuen Erlass erstmal die Besitzer feststellen. „Die müssen wir dann anschreiben. Wenn wir die Antwort bekommen, dass sie unseren Besuch nicht wollen, müssen wir Vollzugsmaßnahmen einleiten. Das alles dauert, das kostet, das erhöht den bürokratischen Aufwand.“

Ganz dumm wird es, wenn ein Grundstück einer Erbengemeinschaft gehört, die über die halbe Welt verstreut lebt. „Wir sind eine Naturschutzbehörde des Landes und kein Detektivbüro“, schimpft Hans-Jörg Dahl, „wenn wir einen Gutachterauftrag an ein freies Planungsbüro vergeben und die sollen erstmal die Besitzrechte ihres Forschungsgebietes klären, dann verteuern sich die Aufträge in einem Maße, dass sie nicht mehr finanzierbar sind.“

Entsprechend sauer sind freie Planungsbüros. „Der Erlass ist ein Eingriff in unsere freie Berufsausübung“, ärgert sich Hans Wilhelm Linders von „ecoplan“. Seine Auftraggeber sind unter anderem staatliche Behörden. Kommunale Naturschutzbehörden fürchten jetzt, dass sich Grundstücksbesitzer so lange gegen ein Gutachterbüro wehren, bis sie ein Gutachten zu ihren Gunsten erzwungen haben. Zur Zeit prüfen Kommunen daher, ob der Erlass des FDP-Ministers überhaupt mit dem Niedersächsischen Naturschutzgesetz vereinbar ist.

„Bei vielen Gutachten stehen wir zeitlich unter Druck. Wenn wir den Fauna- und Florabestand im Frühjahr erfassen müssen, können wir eben nicht bis zur Klärung der Besitzverhältnisse der zu untersuchenden Fläche bis zum Herbst warten“, erklärt ein Landschaftsarchitekt. Außerdem könne der Besitzer in einem langen Verfahren möglicherweise den Anlass der Begutachtung, nämlich hochwertige Naturflächen, gefährdeten Tierbestand oder seltene Pflanzenflächen beseitigen.

Politisch brenzlig wird der Erlass, wenn es um die von der europäischen Union geforderten Meldungen von FFH Flächen geht. Das Land Niedersachsen hat es bislang versäumt, ausreichende Flächen nach Brüssel zu melden. Es drohen hohe Geldstrafen. Und es wird jetzt noch länger dauern. Denn, so Niedersachsens oberster Naturschützer, Hans-Jörg Dahl: „Mit dem Erlass des Ministers zögert sich die Kartierung und Meldung von FFH Flächen weiter heraus.“