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Archiv-Artikel

in fußballland CHRISTOPH BIERMANN über Fußballintellektuelle

Platon vor, noch ein Tor

Vor gut zehn Jahren erfand Dieter Bott den Begriff des Fußballintellektuellen und lud all jene, die er dafür hielt, in den Taunus ein. Dort steht eine schöne alte Villa, in der sich normalerweise aufrechte Gewerkschafter zu Fortbildungen treffen. Bott, dieser an Adorno geschulte Geist, der immer Groll gegenüber Sport allgemein – besonders Fußball – hegte und bereits 1968 ein Antiolympisches Komitee („Lust statt Leistung“) gegründet hatte, wollte uns mal wieder die Ohren lang ziehen. Und uns, weil er ein freundlicher Mensch ist, unter angenehmen Bedingungen zusammenbringen.

So waren wir auch gern gekommen, obwohl es zu Beginn der 90er-Jahre einer Art gespieltem Witz gleichkam, ein Fußballintellektueller zu sein. Schließlich war dieser Sport den gebildeten Ständen noch eher bäh und die Verbindung von Fußball und intellektuell nur in Anführungsstrichen zu sprechen. Das taten wir auch vergnügt, ob es nun Verbalrandalierer Jürgen Roth war, der so gerne die Granden des Fußballs beleidigte, Klaus Hansen mit seinen Fußballgedichten oder Jayin Thomas Gehrmann, der einen bizarren, aber nicht nur abwegigen Vortrag über das Leben im Mutterbauch und die Vorliebe für Bälle hielt. Sehr nett war das sonnige Wochenende, und am Samstag wurde im Garten gekickt, wobei ich wie üblich einen so roten Kopf bekam, dass sich meine Mitspieler Sorgen machten.

Dieter Bott beklagte unterdessen, dass kritische Denker von einst ins Lager einer kuscheligen Fußballbegeisterung übergewechselt waren, und ahnte so früh das Elend voraus, das allerspätestens unübersehbar wurde, als Rudi Völler auf Island seine Kritiker beschimpfte. Die FAZ kommentierte den Vorfall auf ihrer Titelseite, als wäre ein Staatsminister aus der Rolle gefallen. Den „Tagesthemen“ der ARD gab es nichts Wichtigeres und sie eröffneten ihre Berichterstattung damit. Selbst der Autokanzler, der auch ein Fußballkanzler ist, meldete sich zu Wort. Unfassbar!

Nun mag es zweifelhaft klingen, sich über den gesellschaftlichen Aufstieg von Fußball zu beklagen, wenn man davon profitiert. Fußballjournalist zu sein, ist schließlich ein ehrenwerter Beruf geworden, und zweifellos habe ich mich früher ausgiebig darüber beklagt, dass Fußball als kulturelles Phänomen nicht ausreichend ernst genommen wurde. Nur gehörte zur Behauptung, dass Fußball die wichtigste Sache der Welt sei, der unausgesprochene Nachsatz, dass es nicht so ist.

Inzwischen liefert Fußball nicht nur die gängigste Metaphorik politischer Berichterstattung, wenn sich Sozialdemokraten ins Abseits begeben oder Freidemokraten die rote Karte sehen (gibt es in der PDS eigentlich überlappendes Flügelspiel?). Das mag die Welt anschaulicher machen, aber warum Kicken gleich zum Welterklärungsmittel machen? Der jugoslawische Meistertrainer Vujadin Boskov hat vor vielen Jahren herbergeresk tautologisiert: „Fußball ist Fußball.“ Und das ist eine ganze Menge – aber nicht mehr. Ein randalierender Teamchef ist ein randalierender Teamchef und sagt keineswegs etwas über den Zustand unseres Landes aus.

Derzeit aber wird in den Feuilletons auch jenseits von Völler-Tiraden so viel über Fußball geschrieben wie nie. Das hinreißend schnöde Geschehen in den Stadien wird ordentlich mit Bedeutung überhäuft und – so ist der Verdacht – wirklich ernst genommen. „Ohne Platon habt ihr keine Chance“, möchte man bei diesen Verrenkungen singen, in denen es zumeist um nichts anderes als die Ummantelung kindlicher Freuden geht. Dieter Bott hätte derlei bestimmt ordentlich gegeißelt und über Intellektuelle gespottet, die fehlende Körperlichkeit ihres Schaffens mit demonstrativer Fußballbegeisterung zu konterkarieren suchen. Von Politikern ganz zu schweigen, die sich statt um den Länderfinanzausgleich um den 1.FC Kaiserslautern kümmern.

Wir so genannte Fußballintellektuelle tranken damals übrigens zu viel Bier und schossen im Flur der Villa mit dem Ball herum wie Fünfjährige. Der Satiriker Gerhard Henschel holte dabei eine Lampe von der Decke – und Klaus Hansen schrieb kein Gedicht darüber.