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Archiv-Artikel

Aktivistisches Eigenleben

Margarethe von Trotta erinnert mit ihrem Film „Rosenstraße“ vor allem dank der überragenden Schauspielerinnen an eine vergessene Widerstandsaktion deutscher Ehefrauen gegen den NS-Staat

von MANFRED HERMES

Der Eindruck täuscht. Die Regisseure des Neuen Deutschen Films haben nicht Nazi-Aufarbeitungen am laufenden Band betrieben. Sonderfälle wie Syberbergs Filme oder Fassbinders „Lili Marleen“ mögen einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen haben, die eigentlichen Faschismus-Filme kamen aus Frankreich, Italien und der DDR. Es ist aber schon weniger erstaunlich, dass Margarethe von Trotta jetzt und heute eine deutsche Geschichte von vor 45 gedreht hat, wenn man sieht, wie nahtlos „Rosenstraße“ an die politischen Frauengeschichten der Achtzigerjahre anknüpft.

Auch in „Rosenstraße“ gibt es eine bleierne Zeit. Ruth Weinstein (Jutta Lampe) lebt in New York und hat sich in vorgerücktem Alter mit einer jüdisch-orthodoxen Identität gepanzert. Nach dem Tod ihres Mannes verordnet sie die traditionell überlange Trauerzeit. Sie lehnt es außerdem ab, dass ihre Tochter Hannah (Maria Schrader) einen Nichtjuden heiraten will. Da Ruth Weinstein auch die persönliche Geschichte der Emigration wie unter Eis versiegelt hält, glaubt ihre Tochter, durch die Bergung des verdrängten Wissens könne sich die Traumatisierung der Mutter lösen. Hannah reist nach Deutschland, vollzieht die biografische Bewegung ihrer Mutter nach, in umgekehrter Richtung.

In Berlin trifft sie Lena Fischer (Doris Schade), die den Schlüssel zu dieser Geschichte, die noch keine ist, in der Hand hält. Im Gegensatz zu Hannahs Mutter ist die Adelsfrau auskunftsfreudig, und so wird nun in Rückblenden eine deutsch-jüdische Geschichte mit zur Abwechslung einmal gutem Ausgang erzählt: Eine lange Zeit sind die jüdischen Männer deutscher Frauen vor der Deportation geschützt. 1943 werden zunehmend aber auch sie festgenommen und, wenn sie in Berlin wohnen, in die Rosenstraße gebracht, heute ein verlängerter Parkplatz am Hackeschen Markt. Viele der betroffenen Frauen verweigern die von ihnen verlangte Scheidung. Stattdessen versammeln sie sich vor dem Gefängnisportal, um in der Nähe ihrer Männer zu sein. Hier kommt auch Ruth ins Spiel. Da sie ihre Eltern verloren hat, nimmt Lena Fischer sie auf und schützt sie vor Verfolgung.

Das zunächst scheue Insistieren in der Rosenstraße bekommt mit der Zeit ein aktivistisches Eigenleben, und schließlich erreicht der Frauenaufstand, warauf er gar nicht hoffen konnte: Alle Ehemänner werden entlassen. In dieser Geschichte eines erfolgreichen Widerstands zeigt sich die linke Filmemacherin, die der Zivilcourage und ihrem Glauben an Veränderbarkeit einen filmischen Ausdruck geben will. Die Rosenstraße belegt, dass sich selbst das härteste Regime einer politischen Willensäußerung nicht völlig entziehen kann. Eine „feministische“ Botschaft gibt es auch: Der Nationalsozialismus war das Regime struktureller Männergewalt. Die elitäre, uniformierte Selbstgefälligkeit von Männern wollte ganz Europa und jedem Zipfel des Alltags seinen strengen Stempel aufdrücken. Das wäre mit Frauen nicht passiert.

Filmische Historisierungen sind aber auch aus wesentlich einfacheren Gründen ein undankbares Geschäft. Nur ganz selten springt optisch etwas Neues dabei heraus. In „Rosenstraße“ weist eine blaustichige Emulsion in die Vergangenheit, deren Ältlichkeit ein nöliges Cello unterstreicht. Nichts, was das aktualisieren würde. Wir leben ja nicht mehr in den Siebzigern, als schon mit dem Aufziehen einer Hakenkreuzflagge ein Frösteln ausgelöst wurde. Kleine Verschiebungen hätten der nationalsozialistischen Staatsästhetik hier jenen Glanz geben können, die bei Deutschen seinerzeit so gut ankam: Porträts der Parteiprominenz im Stil von Ruff, Abendkleider von Armani, Architekturen von Kollhoff. Nun aber logiert nur die Hannah der Gegenwart in einem der öde hypertrophen Neubauten am Leipziger Platz.

Die Schönheiten liegen in „Rosenstraße“ in jedem Fall auf anderem Gebiet. Margarethe von Trotta hat hier ein wahres Besetzungsfeuerwerk gezündet und drei Generationen deutscher Schauspielerinnen aus denkbar unterschiedlichen Kontexten zusammengebracht. Das wirkt oft wie eine Wiederbegegnung, ergibt aber vor allem aufregende Konstellationen. Es ist großartig, Jutta Lampe und Carola Regnier, Doris Schade und Lena Stolze, Gabi Dohm und Jutta Wachowiak in ein und demselben Film zu sehen. Selbst die Nervensägen des deutschen Films der frühen Neunziger, die pierrothafte Maria Schrader und die sonst häufig so unsouverän forsche Katja Riemann als junge Lena, gehen aus diesem „Frauenfilm“ unbestreitbar als Siegerinnen hervor.

„Rosenstraße“. Regie: Margarete von Trotha. Mit Jutta Lampe, Maria Schrader, Doris Schade, Katja Riemann u. a. Deutschland 2003, 136 Min.