: The Sultans of Spin
Ein Abend mit Tony Blair: In „Projekt Machtwechsel“ erleben vier junge Menschen Aufstieg und Macht von New Labour. 215 packende Minuten über Ideale und Illusionen (20.45 Uhr, Arte)
von STEFFEN GRIMBERG
„Näher kannst du als Engländer an eine Revolution nie rankommen.“ Dieser Satz wird in einem gewöhnlichen Hausflur gesprochen, hat aber überhaupt nichts Anmaßendes. Paul (Matthew McFadyen) hört ihn in Number 10, Downing Street. Hier, am Dienstsitz des britischen Premierministers, bezieht der junge PR-Mann der Labour-Party im Mai 1997 sein Büro. Tony Blair ist gerade mit überwältigender Mehrheit gewählt worden. Die Revolution namens New Labour kann beginnen.
Rückblende: Manchester, 1992. Vier StudentInnen blockieren die Abwasserleitung einer Chemiefabrik, Greenpeace-Style. Aufbruchstimmung, doch die in den Umfragen führende Labour-Party unterliegt bei den Parlamentswahlen wieder der Konservativen Partei. Alle vier lassen sich auf den Parteiapparat ein. Maggie (Naomie Harris) und Irene (Paloma Baeza) ehrenamtlich als Wahlhelfer und Stimmauszähler. Paul und Andy (Shaun Evens) schon als bezahlte Kofferträger der neuen PR-Gurus, die daraus auch gleich neue Methoden nebst zweier neuer Lichtgestalten für eine moderne Partei hervorzaubern: Tony Blair und Gordon Brown.
„The Project“ hieß Peter Kaminskys („The Warriors“) 215-Minuten-Epos über Macht, Politik, Spin und die Frage, wer wem wofür seine Seele verkauft, bei der BBC, „Projekt Machtwechsel“ wird bei Arte daraus. Das ist nur bedingt richtig. „Projekt Machterhalt“ wäre treffender, denn der Film ist mehr als ein dicht an der Realität arbeitendes Stück packend erzählter Fiction, die mit dem zweiten Labour-Wahlsieg im Juni 2001 endet. Wer die aktuelle Auseinandersetzung um die Kelly-Affäre und Irakkriegs-PR, die Macht der BBC und die Lebenslüge von Cool Britannia und New Labour verstehen will, bekommt hier alles gesagt.
Nur Andy, der von Anfang an Zynischste der vier („Es ist ein Spiel – und wir müssen gewinnen“), ist am Ende des Films noch mit sich im Reinen – und dafür meilenweit von den anderen abgerückt. Paul, Irene und vor allem Maggie sind um die eine große, prägende Desillusionierung reicher. Für Naomie Harris wurde extra das Drehbuch, das zunächst nach einer weißen Maggie verlangte, umgeschrieben. Und es dürften auch die biografischen Parallelen zwischen der realen Harris und der fiktiven Maggie sein, die für eine derart überzeugende Darstellung sorgen: Harris, Jahrgang 1976, lebte noch lange bei ihrer allein erziehenden Mutter in London. Genau dieses Thema beschäftigt auch die 1997 mit all den anderen „Blair Babes“ zum ersten Mal ins Unterhaus Gewählte: Maggie Dunn, MP, darf als erste Amtshandlung eine Kürzung der Beihilfen für Alleinerziehende und Behinderte mitverantworten. „Ihr müsst euch mal selber reden hören! Dabei erwarten die Menschen von Labour mehr Gerechtigkeit“ – das sagt schon nicht mehr sie, sondern nur noch einer der Betroffenen. Und Paul, aus dem Labour-Parteihauptquartier Millbank zunächst ins Zentrum der Macht abkommandiert, findet sich ins Innenministerium abgeschoben: Hier arbeitet er sich an einem Entwurf für ein weitreichendes „Informationsfreiheitsgesetz“ ab, das die Herren der Downing Street und Labour-Apparatschiks längst abgeschrieben haben.
Irene schließlich macht zunächst Karriere bei der BBC, bei jenem Fels unabhängiger Politberichterstattung, der jetzt durch die Kelly-Affäre Risse bekommen hat: Sie arbeitet für die Morgensendung „Today“, die traditionell die Agenda für das politische Tagesgeschäft setzt. Im Film hat der Kampf der Spin-Doktoren aus der Downing Street mit den Rechercheuren und Reportern noch beinahe etwas Ritterliches, Turnierhaftes.
Doch seit in der Realität Lordrichter Brian Hutton den Tod des Waffenexperten Kelly untersucht, der dem „Today“-Reporter Andrew Gilligan als Quelle für angebliche Regierungsmanipulationen diente, schwebt auch über diesem Hort der Aufrechten ein dickes Fragezeichen.
Anders als deutsche Produktionen wie Hans-Christoph Blumenbergs „Deutschlandspiel“ oder das demnächst auf Arte und der ARD laufende Brandt-Rücktritt-Epos „Im Schatten der Macht“ vermeidet Kaminskys Film dabei auch noch auf wunderbare Weise, Schauspieler als Politprominenz durchs Bild wackeln zu lassen: Tony Blair oder sein ewiger Rivale, der Schatzkanzler Gordon Brown, sind so präsent, wie es einer Mediendemokratie zukommt: auf dem Fernsehschirm.