: Union sitzt in der Türkeifalle
Türkische Regierungspartei AKP zu Besuch bei CDU und CSU. Ziel: Aufnahme der AKP in die Europäische Christdemokraten-Partei EVP. Volker Rühe: Wenn die EU-Kommission Beitrittsverhandlungen empfiehlt, muss sich auch die EVP bewegen
aus Istanbul JÜRGEN GOTTSCHLICH
Türkei in die EU – niemals! Wer die Statements führender Politiker der CDU/CSU zur Türkei hört, muss glauben, die deutschen Christdemokraten, allen voran ihr Ableger in Bayern, rüsten sich gegen einen neuen Angriff der Ungläubigen auf das christliche Abendland. Man wolle das Thema sogar im kommenden Europawahlkampf hochziehen. Doch was so einhellig daherkommt, ist hinter den Kulissen weit weniger eindeutig.
Morgen landet eine Delegation der türkischen Regierungspartei AKP in Berlin, um Gespräche mit hochrangigen CDU-Politikern zu führen. Den Gästen aus Ankara werden sich unter anderen der außenpolitische Sprecher der Partei, Friedbert Pflüger, der Exparteichef Wolfgang Schäuble und der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, Volker Rühe, widmen. Absicht ist, sich besser kennen zu lernen, womit auch ein konkretes Ziel verknüpft ist: Ausgerechnet die zwar konservative, aber islamisch geprägte AKP hat einen Antrag auf Aufnahme in die EVP, den Zusammenschluss christdemokratischer Parteien in Europa, gestellt.
Von türkischer Seite ist dies ein großer Schritt. War es doch noch Mitte der 90er-Jahre ein Treffen der Vorsitzenden der in der EVP organisierten Parteien, von dem die Botschaft ausging, die Türkei könne nie Mitglied im christlichen Club Europa werden. Jetzt soll sich dieselbe EVP für eine islamische Partei erwärmen – möglichst noch bevor die EU-Kommission Ende 2004 eine Empfehlung darüber abgibt, ob mit der Türkei Beitrittsgespräche begonnen werden. Aus Sicht der AKP ist ihr Antrag logisch, denn wo sonst, so sagt man in Ankara, sollten wir denn in Europa hin. Die AKP ist weder sozialistisch noch liberal oder grün, sondern wertkonservativ und religiös.
Ein erstes Treffen des stellvertretenden AKP-Vorsitzenden und Außenministers Abdullah Gül mit dem früheren belgischen Ministerpräsidenten und jetzigen EVP-Vorsitzenden Winfried Martens führte zu der Empfehlung: Das müssen sie mit den deutschen Christdemokraten klären. Für den türkischen Ministerpräsidenten Tayyip Erdogan war deshalb sein Treffen mit der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel am Ende seines Deutschlandbesuches vor drei Wochen nicht nur ein Höflichkeitsbesuch, sondern ein Treffen unter Parteifreunden, auch wenn Merkel das zunächst vielleicht gar nicht begriffen hat. Immerhin wurden bei dem Gespräch wechselseitige Besuche vereinbart, die ihren vorläufigen Höhepunkt mit einer Reise von Merkel nach Ankara im kommenden Jahr haben sollen.
Quasi als Vorhut war letzte Woche bereits Volker Rühe in der Türkei, wo er, organisiert von der Konrad-Adenauer-Stiftung, an drei öffentlichen Diskussionsforen im kurdisch bewohnten Südosten der Türkei teilnahm. Rühe gehört zu den prominentesten Abweichlern von der „Türkenraus“-Linie innerhalb der Union. Er will eine Mitgliedschaft der AKP in der EVP davon abhängig machen, wie die EU-Kommission votiert. Gegenüber der taz sagte Rühe: „Für die Aufnahme von Verhandlungen zu einem türkischen EU-Beitritt wird der Bericht der EU-Kommission Ende 2004 entscheidend sein. Fällt dieser positiv sein, können sich die Regierungen und Parteien dieser Empfehlung nicht verschließen.“ Rühe machte keinen Hehl daraus, dass er vor allem die CSU-Linie gegenüber der Türkei für völlig verfehlt hält. „Helmut Kohl hat auf dem EU-Gipfel in Luxemburg unterschrieben, dass die Türkei für einen Beitritt zur EU in Frage kommt und das Beitrittsersuchen auf der Grundlage derselben Kriterien untersucht wird, wie im Falle anderer Bewerberstaaten. Ich stehe auch heute noch dazu.“ Der Führung von CDU/CSU könne er „keinen Bruch mit dieser Politik empfehlen“.
Auch für Wulf Schönbohm, Leiter der Adenauer-Stiftung in Ankara, Organisator der Treffen zwischen AKP und CDU, ist die prinzipielle Ablehnung der Türkei ein „Wortbruch“ und eine politische Dummheit. „Die kategorische Ablehnung der Türkei beschädigt nicht nur das Zusammenleben mit den Türken in Deutschland, es hindert auch konservative Türken, CDU zu wählen“, meinte Schönbohm zur taz. Er hoffe, dass der kommende Europawahlkampf wirklich „verantwortungsvoll“ geführt werde.