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Archiv-Artikel

Ein Mann, eine Stunde, eine Kandidatin

Gregor Gysi ist auf Wahlkampftour durch Brandenburg: In Oranienburg erfreut der ehemalige PDS-Vorsitzende seine Wähler mit einem einstündigen Monolog. Und er verspricht ganz großzügig Zwei-Euro- statt Ein-Euro-Jobs

In Brandenburg herrscht Wahlkampf. Dass er toben würde, kann man nicht behaupten. In Oranienburg, der Oberhavel-Kreisstadt, tritt für die PDS Gerrit Große an. Die 50-jährige Lehrerin, auf Platz 3 der Landesliste, hatte sich gestern Verstärkung geholt. Gregor Gysi sprach im Schlosspark. Zum Glück kam der Mann zu spät. So konnte die bildungspolitische Sprecherin der PDS-Landtagsfraktion zuvor ungestört ihre Themen abhandeln.

Große steht in Oberhavel für konkrete Politik. Im Kreistag kämpfte sie so tapfer wie erfolgreich mit ihrer Fraktion gegen die Schließung des Oranienburger Runge-Gymnasiums, einer der wenigen Brandenburger Schulen, die den Titel „Schule ohne Rassismus, Schule mit Courage“ tragen (die taz berichtete). Als der Schließungsantrag abgeschmettert war, weinte sie vor Freude. Das sind so Dinge, die in Gegenden, wo Lokalpolitik mit Namen und Gesichtern verbunden ist, zählen. Und so war es nicht verwunderlich, dass sich in der Orangerie mehr als 200 Zuhörer versammelt hatten.

Und so lange blieben, bis Gysi kam. Als der mit anderthalbstündiger Verspätung vorfuhr, enterte er die Bühne, ließ sich eine Eingangsfrage stellen und übernahm für die nächste Stunde den Laden. Zum Vorwurf, die PDS radikalisiere die Anti-Hartz-Proteste: „Ich hab schon mehrere Kilo Eier abgekriegt.“ Zu Rechtsextremisten, die sich unter die Montagsdemonstranten mischen: „Wir sind da schließlich nicht der Veranstalter.“ Zu den Ein-Euro-Jobs: „Wir können das nicht verhindern. Aber wir würden vielleicht Zwei-Euro-Jobs draus machen.“ Zuhörer nicken, manch einer seufzt wohlig.

So geht es forsch voran. Gysi streichelt die ostdeutsche Seele. Es ist seine Gabe, Allgemeines auf Konkretes herunterbrechen zu können und so die PDS-Anwartschaft von Dagmar Enkelmann auf den Ministerpräsidentenposten in greifbare Nähe rücken zu lassen. So wird es am 19. September kaum kommen. Zwar führen die Sozialisten in Umfragen (siehe rechts). Am Ende werden aber wohl wieder SPD und CDU koalieren, und die PDS wird weiter die Opposition geben.

Aber Gysi hat natürlich Recht, wenn er der brandenburgischen PDS für diesen Fall rät: „Bloß nicht verkrampfen!“ Schließlich müsse man den großen Parteien auf Landesebene schon mal vormachen, was 2006 im Bund käme: die PDS in Fraktionsstärke im Bundestag – „damit die dann nicht erschrecken“.

Gerrit Große, die nicht mehr zu Wort gekommen ist, hält ein zuvor gegebenes Versprechen und bittet um Zuhörerfragen. „Wie sehen Sie Ihre politische Zukunft, Herr Gysi?“, fragt ein Oranienburger. Er überlege noch, antwortet Gysi, ob er 2006 für den Bundestag antreten solle. Und Lothar Bisky dränge ihn ja auch dazu. Aber die Arbeit als Anwalt sei auch interessant, seine Gesundheit bekanntlich angeschlagen, und überhaupt stünde er nicht so auf Wiederholungen. „Aber wenn ich antrete, dann mit voller Kraft. Darauf können Sie sich verlassen.“

An der Tür tippt Landesgeschäftsführer Heinz Vietze auf seine Armbanduhr. Bernau, Potsdam und Sabine Christiansen stehen noch auf dem Plan. Gysi steht auf, Beifall, Blumen. In zwei Wochen wird Gerrit Große sehr gut abschneiden im Wahlkreis Nummer 9. ANJA MAIER