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Archiv-Artikel

Gutes Beispiel, aber nicht für alles

Auf der Kabinettsklausur ließ sich Kanzler Schröder von seinem schwedischen Kollegen Göran Persson mit gelungenen sozialdemokratischen Reformen beeindrucken. Doch bleibt es dabei: In Deutschland ist das Ende der Reformen vorerst erreicht

AUS BONN ULRIKE WINKELMANN

Zur Verteidigung ihrer Sozialpolitik hat die Bundesregierung nun Europa entdeckt. Auf der Kabinettsklausur im Bonner Palais Schaumburg am Wochenende trug Schwedens Ministerpräsident Göran Persson seine Erfahrungen mit dem Sozialstaatsumbau in den 90er-Jahren vor.

Die in Bonn um den ehemaligen Kanzlersitz lagernde Presse wurde derweil mit Materialien ausgerüstet, die das „Hartz IV“-Gesetz im Lichte des europäischen Vergleichs recht milde aussehen ließen. So würden etwa in Schweden, Belgien und Spanien bei Arbeitslosigkeit grundsätzlich alle Einkommen angerechnet. In Deutschland dagegen bleiben bestimmte Bezüge wie Erziehungsgeld oder Unfallrenten geschützt, außerdem gibt’s Zuverdienstgrenzen.

„Wir fühlen uns durch das schwedische Beispiel ermutigt, unsere Arbeit ohne Wenn und Aber und ohne jede Einschränkung fortzusetzen“, erklärte Bundeskanzler Gerhard Schröder nach Perssons Vortrag. Die „Angst“ der Deutschen vor Veränderungen sei „unbegründet“.

Der Abgleich mit dem schwedischen Vorbild ergebe, sagte Schröder, drei gemeinsame Prinzipien sozialdemokratischer Politik: erstens eine klare Konzentration aufs „Fördern und Fordern“. Zweitens das Ziel, dadurch Ressourcen für Bildung und Forschung „freizubekommen“. Drittens eine neue Familienpolitik mit besonderem Augenmerk auf Tagesbetreuung und frühkindlicher Bildung.

Schröder forderte die Bundesländer auf, sich hieran konstruktiv zu beteiligen – und lieferte damit selbst den entscheidenden Unterschied zum schwedischen Vorbild nach: Der deutschen Bundesregierung gelingen bislang nur die Kürzungen. Was die Angebote angeht, lässt sie sich auffällig häufig von den Bundesländern ausbremsen. Bis 2006 soll mit Bildungs- und Familienpolitik vor allem Wahlkampf gemacht werden.

Doch selbst was die Sparprogramme angeht, bleibt die Reichweite eines schwedisch-deutschen Vergleichs beschränkt. Zwar ist unumstritten, dass Schweden Mitte der 90er-Jahre herbe soziale Einschnitte vornahm und seither die einschlägigen Wirtschaftsindikatoren wieder gut aussehen. Zum Beispiel wurde die Staatsquote – der Anteil der Staatsausgaben inklusive Sozialsysteme am Bruttoinlandsprodukt – von fast 70 Prozent im Jahr 1993 auf 53 Prozent 2002 gesenkt. Doch was dies für Deutschland zu bedeuten hat, ist unklar: Hier liegt die Staatsquote seit Jahren unter 50 Prozent – und das trotz der Einheitskosten.

Sowieso wollte sich Schröder vom Gast keineswegs zu weiteren Umbauarbeiten anregen lassen. Ihm reichen die Mühen, die beschlossenen Arbeitsmarktreformen umzusetzen. So bleibt von der ursprünglich groß angelegten Reform der Pflegeversicherung bis zur Wahl 2006 voraussichtlich nur, dass ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts befolgt wird. Demnach müssen ab 2005 Eltern besser gestellt werden, was Sozialministerin Ulla Schmidt mit einem Aufschlag von 0,25 Prozent auf die Pflegebeiträge aller Kinderlosen zwischen 23 und 65 Jahren zu lösen gedenkt.

Eine umfassendere Anpassung der Pflegeversicherung etwa an die Lohnentwicklung oder die Zunahme der Wachkoma-Patienten in den Heimen war im Sozialministerium ausgebrütet, aber von Schröder im Januar gekippt worden. „Der Reformbedarf ist nicht erledigt“, gab der Kanzler nun in Bonn zu. Aber um diesen zu klären, müsse erst ein Expertenkreis mit etwa 80 Teilnehmern, der „Runde Tisch Pflege“, Ergebnisse produzieren. Dieses Gremium verschwand kurz nach seiner Gründung 2003 in der Bedeutungslosigkeit.

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