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Archiv-Artikel

Revolution hinterm Jägerzaun

Sie mögen es gemütlich. Aber wenn sie sich „abgezockt“ fühlen, starten sie eine Revolution. Zu Besuch bei Dauercampern am Halterner Stausee

„Es geht gegen den Obrigkeitsstaat, darum, sich nicht alles gefallen zu lassen“

AUS HALTERN AM SEEKLAUS JANSEN

Kein Tretboot, kein Erdbeereis, keine Bildzeitung. Schuld daran ist ein ein DIN-A-4-Papier. Es hängt an Telefonzellen und auf Campingplätzen, und es ruft auf zur Revolution: „Wir empfehlen den Boykott“, steht darauf. Denn, so heißt es in leicht eckigem Deutsch: „Nach Erhebung und jetzt Abkassierung der Zweitwohnsitzsteuer für Campinganhänger durch die Stadt Haltern, haben wir mit dieser Maßnahme, alle in der Umgebung liegenden Geschäfte zu boykottieren begonnen.“ Es zeichnet: Der Verband der Camping-Interessengemeinschaften für NRW e.V.

Früher Zelt, heute Hütte

Die Stadt Haltern hat sich mit ihrer Idee der Zweitwohnsitzsteuer Feinde gemacht. Knapp 100.000 Euro, jeweils zehn Prozent auf Standgebühr und Nebenkosten pro Dauercamper, will die Kommune einnehmen, um Haushaltslöcher zu schließen, bei einem Defizit von 10 Millionen Euro pro Jahr nicht wirklich viel. Vor drei Monaten hat die Kommune 2.000 Steuerbescheide an Dauercamper verschickt, doch viele denken nicht daran zu zahlen - und wenn, tun sie es unter Vorbehalt.

Die Revolutionäre sind störrisch: „Ich bezahle Standgebühr, Nebenkosten und der Platzbetreiber führt Steuern ab, da lasse ich mich nicht noch einmal abkassieren“, sagt Helmut Tadeusz. Der 63-jährige Rentner aus Gelsenkirchen organisiert den Camperprotest in Haltern. Siebzig Euro pro Jahr würde ihn die Steuer kosten. Früher, als Jugendlicher, ist er noch Zelten gefahren, „so richtig mit Kocher und Tütensuppe“, erzählt er. Mittlerweile lässt er es ruhiger angehen: Seit acht Jahren hat er eine Parzelle auf einem der Campingplätze am See gepachtet, zum „Fahrradfahren, Natur erleben, Relaxen“, wie er sagt. Denn: „Den Mensch zieht es ja immer zum Wasser.“

Helmut Tadeusz ist ein brummiger Revolutionär, mit seinem weißen Bart würde er einen guten Seebär in einem Heimatfilm abgeben. Er mag es ordentlich. Verrostende, leer stehende Wohnwagen, abgestellte Autos, besoffene und laute Jugendliche, das stört ihn. „Wenn man älter wird, will man auch einen schönen Anblick haben“, sagt er. Den bekommt er in Haltern: Es duftet nach feuchtem Gras, der Halterner Stausee glitzert silbrig in der Sonne. Auf dem Campingplatz kuschelt sich Parzelle an Parzelle, streng durchnumeriert, abgegrenzt von Jägerzäunen, es wehen Deutschland-, Schalke 04- und Michael Schumacher-Fahnen. Von kleinen Anhängern bis hin zu soliden Blockhütten findet sich alles.

„Klar, einige Leute haben sich hier richtig was hingesetzt“, sagt Helmut Tadeusz. Aber eine Wohnung? „Eine Wohnung braucht ein Dach, fließend Wasser, Strom, Telefon, einen Abwasseranschluss“, zählt er auf. Das alles habe ein Campingwagen nun mal nicht. Doch die Stadt Haltern sieht das nicht ein, Bürgermeister Josef Schmergal von der CDU ist in Urlaub und hat auch sonst keine Lust, mit den Campern zu verhandeln. „Es kann nicht jeder dem Bürgermeister auf die Bude steigen“, sagt Stadtsprecher Heinz Kallhoff.

Paragraphen und Logik

Das Herz des Verbands der Camping-Interessengemeinschaften für NRW schlägt in einer Auto-Werkstatt. In Essen-Steele, direkt an der Ruhr, flattern gelbe Fahnen vor einem roten Klinkerbau: „Auto Heepen“ steht darauf. Auf dem Hof der Werkstatt, zwischen zahlreichen Kleinwagen, stehen zwei Wohnmobile: Ein altes Hymermobil, daneben aber ein Ungetüm, wie man es außerhalb der Mobile-Home-Siedlungen im amerikanischen Süden kaum erwartet. Der weiße Koloss hat die Größe eines Kleinlasters, eine Achse vorne, zwei hinten. Dem Hausherrn gehört der Caravan nicht: „Meiner ist noch größer. Acht Meter vierzig“, sagt Karl-Heinz van Heepen.

Der Vorsitzende von 135.000 Campern aus ganz Deutschland ist Stammcamper in Tecklenburg und erst vor kurzem nach einem Herzinfarkt und drei Wirbelbrüchen aus dem Krankenhaus entlassen worden, elf Monate hat er gelegen. Doch Karl-Heinz van Heepen ist zäh, 1967 hat er ein 10.000-Kilometer-Autorennen in Monaco gewonnen, davon kündet stolz eine Plakette an der Wand des Büros. Und tatsächlich, als der Mann mit den akkurat nach hinten gekämmten grauen Haarsträhnen wenige Momente später in seinem schweren schwarzen Ledersessel sitzt und säuberlich Papierstapel ordnet, ist er hellwach.

Von seinem Ledersessel aus koordiniert Karl-Heinz van Heepen den Widerstand der Camper gegen die Zweitwohnsitzsteuer. „Nennen Sie es abzocken, absahnen, wie Sie wollen“, sagt er. 66 Prozesse an den unterschiedlichsten Gerichten hat er schon geführt, finanziert von den Jahresbeiträgen der Vereinsmitglieder, 135.000 mal 12,78 Euro. Für ihr Geld haben van Heepen und seine Kollegen viele Urteile bekommen: Das Finanzgericht Düsseldorf hat für die Camper entschieden, das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen und das Oberverwaltungsgericht Münster gegen sie. Es ist schwer, den Durchblick zu behalten – Karl-Heinz van Heepen tut es, seine Frau ist Richterin.

Das heilige Schriftstück für den Camping-Funktionär trägt das Aktenzeichen 2 KN 1/03: Es ist das Urteil des schleswig-holsteinischen Oberverwaltungsgericht, im Namen des Volkes, und es erklärt die Zweitwohnsitzsteuer für gesetzeswidrig. „Grundgesetzwidrig“, betont van Heepen. Tatsächlich steht in dem Urteil: „Die steuerliche Gleichstellung von Mobilheimen mit Zweitwohnungen verstößt gegen Artikel 3 Absatz 1 Grundgesetz“, die Gleichbehandlung von Wohnmobilen und Zweitwohnungen sei nicht gerechtfertigt. „Ist doch logisch. Ein Wohnwagen kann auch keine Wohnung sein. Weil es ja ein Fahrzeug ist“, sagt Karl-Heinz van Heepen und breitet die Arme aus. Klingt einfach. Die meisten Städte sehen das mittlerweile auch so und haben die Steuer wieder zurück genommen. Die Stadt Haltern fühlt sich aber nicht an das Urteil gebunden, auch Erftstadt und Xanten geben nicht nach. „Wo bleibt denn da das Recht? Das Grundgesetz gilt doch für alle“, sagt Karl-Heinz van Heepen. Und wieder: „Ist doch logisch.“ Er lässt keinen Zweifel zu, er will sich sein Recht holen. Im Winter wird es einen ersten Termin beim Bundesverfassungsgericht geben. Die viel beschäftigten Richter in Karlsruhe hätten bereits zugesagt, dass sie sich ihren Kopf über Wohnwagen zerbrechen werden.

„Ein Wohnwagen kann keine Wohnung sein. Weil es ja ein Fahrzeug ist“

Aufstand am Gartentisch

Auf dem Kreisjugendzeltplatz in Haltern führt Jürgen Makowka seine Geheimwaffe vor: Den Maulwurf-Erschrecker. Schiebt man die grüne Stange, einen überdimensionierten Vibrator, in den Boden, sendet sie unerträglich schrille Pieptöne aus. Makowka will so die Maulwürfe vertreiben, die den gepflegten Rasen seiner Parzelle Nummer 76 zerstören. „Ich kann nicht lange rumsitzen, ich muss immer was zu grabbeln haben“, sagt der Rentner, er raucht eine HB.

Gemeinsam mit seiner Frau Uschi hat Jürgen Makowka ein gepflegtes Idyll geschaffen. Das Vorzelt ist mit Holz überbaut, damit der Regen das Dach nicht zerstört. Es gibt eine verschließbare Tür, gegen Einbrecher. Im Wohnwagen stehen zwei saubere Betten, ein Wohnzimmer, das Vorzelt bietet eine Küche mit gepolsterter Sitzecke, in der Ecke sind Schuhe aufgereiht – in ihnen stecken Schuhspanner. Auf der Parzelle wachsen Tomaten und Gurken, die Blumenkübel leuchten rot und weiß, im Winter kommen die Makowkas extra zweimal pro Woche zum Blumengießen aus Gelsenkirchen. Ein kleiner Frosch aus Stein hockt neben einem Wagenrad, es gibt einen Blickschutz aus Holz und einen Hausbewacher, ein Troll mit weit aufgerissenen Augen. „Der zeigt den Leuten an, dass wir hier sind“, sagt Uschi Makowka.

Wenn der Troll draußen steht, kommen Gäste vorbei, Helmut Tadeusz sowieso, er kennt Jürgen Makowka seit 63 Jahren. Die beiden diskutieren, wer die schöneren Stechapfelpflanzen hat, kennen dieselben Leute, laden ihre Familien und Freunde auf den Campingplatz ein. „Das ist einfach schön, Leute treffen, sich unterhalten, was zu tun haben“, sagt Makowka, „das will ich mir nicht dadurch kaputt machen lassen, dass ich Steuer zahlen muss.“ Also boykottiert auch er Halterns Einzelhandel, also unterstützt auch er den Prozessmarathon. „Wir sind ja keine reichen Leute hier, die so viel übrig haben. Andere Leute fliegen dreimal im Jahr auf die Malediven“, sagt Uschi Makowka.

Der Kampf gegen die Zweitwohnsitzsteuer wird geführt vom Gartentisch hinterm Jägerzaun, dazu ein wenig ideologisch verblümt. „Es geht gegen den Obrigkeitsstaat, darum, sich nicht alles gefallen zu lassen“, sagt Helmut Tadeusz. Dafür nimmt er in Kauf, weniger Zeit zum Campen zu haben. Ob der Aufwand den Ertrag rechtfertigt, weiß er wohl selbst nicht so genau. „Es geht ja nur um Pfennige“, gibt er zu. Dann zwinkert er mit dem Auge und brummt: „Man muss ja auch irgendwas zu tun haben.“