: Wer dem Barracuda ins Auge schaut
Der Pay-TV-Sender HBO hat Oliver Stones im Februar 2002 gedrehtes Castro-Porträt „Comandante“ als „überholt“ eingestuft und den Regisseur zum Nachdreh nach Kuba geschickt. Doch kritisch sind Stones Fragen auch diesmal nicht
Jetzt ist „Comandante“ also wieder da, das von Oliver Stone gedrehte Porträt Fidel Castros. Eigentlich müsste die Dokumentation „Comandante II“ heißen, denn gegenüber der ursprünglichen, im Februar 2002 gedrehten und auf der letzten Berlinale gezeigten Fassung haben sich die Akzente kräftig verschoben. Das geht aus jetzt vom italienischen Wochenmagazin L'Espresso veröffentlichten, ausführlichen Dialogpassagen hervor. Die Menschenrechte, die Dissidentenverfolgung, die Exekutionen im Frühjahr 2003 – bei einem Nachdreh im August hakte Stone nach. Besser: Er musste nachhaken, denn der Auftraggeber, der amerikanische Pay-TV-Sender HBO, hatte die im Mai geplante Ausstrahlung kurzerhand abgesetzt, Stones Werk als „durch die Ereignisse überholt und unkomplett“ abgekanzelt und den Erfolgsregisseur wie einen Schuljungen zum Nachsitzen geschickt.
Das merkt man Stone an. Er eröffnet das Feuer auf Castro, doch es ist weiter recht freundliches Feuer. Stone insistiert zum Beispiel, die Hinrichtung der Schiffsentführer im Frühjahr sei ohne Berufungsmöglichkeit binnen weniger Tage erfolgt – und bekommt zur Antwort: Ja, das sei wahr, „aber wir befinden uns praktisch im Kriegszustand“. Castro darf sich von den Exekutionen geknickt zeigen – „es hat mich geschmerzt, diese Menschen in den Tod zu schicken“, „ich bin nicht erbarmungslos und auch nicht unzugänglich für Gnadengesuche“ –, um dann auf die Verantwortlichkeit der USA für Flugzeug- und Schiffsentführungen hinzuweisen. Es seien schließlich amerikanische Richter, die zu den Entführungen ermutigten, indem sie die Täter sofort auf freien Fuß setzten und ihnen Asyl gewährten. In dieser Situation sei ihm, dem máximo líder, gar nichts andres übrig geblieben, als „das Übel an der Wurzel auszureißen“; schließlich sei es die „erste Pflicht, unser Volk zu verteidigen“. Und Stone gibt sich Mühe, Castro goldene Brücken zu bauen. Ob er mit zu harter Reaktion nicht in Bushs Falle tappe? Nein, meint Fidel. Vor einem Barracuda davonzuschwimmen bedeute den sicheren Tod. „Dagegen zieht sich der Mörder zurück, wenn man ihm fest in die Augen schaut. Ein bisschen wie bei Hunden. Wohlgemerkt stelle ich keinen Vergleich mit dem US-Präsidenten an.“
Auch beim Kapitel Dissidentenverfolgung fragt Stone hartnäckig. „Ihr habt einen Journalisten zu 28 Jahren verurteilt!“, ruft er aus und wird belehrt: Das sei bloß die internationale Propaganda. Von den 34 verhafteten angeblichen Journalisten seien nur vier wirklich welche. Einen Rüffel gibt's obendrein: „Unser Herr Stone verdreht die Fakten! Wo haben Sie bloß solche Lügen her?“ Das sei wie bei Goebbels, „immer wieder wiederholen, dann werden die Lügen zur Wahrheit“. Castros Wirklichkeit sieht anders aus: „Die so genannten kubanischen Dissidenten repräsentieren 0,2 Prozent der Bevölkerung.“ Söldner der USA seien die angeblichen Menschenrechtler, unterwegs im Auftrag der Supermacht, die Kuba als einen der Schurkenstaaten verfolge. Da sei es einfach „eine Frage der Ehre“, Menschenrechtsinspektionen nicht ins Land zu lassen; schließlich sei Kuba der Staat, der in der UNO die meisten Menschenrechtsvorschläge einbringe, und zu Hause könne jeder seine Meinung sagen – natürlich außer den „von den USA bezahlten Personen“.
Da leidet auch Stone, der Castro immerhin für „einen der weisesten Männer der Welt“ hält. Der Regisseur hält seinem Gegenüber vor, er riskiere, den Dissidentenführer Osvaldo Paya zu einem neuen Mandela zu machen – und erhält die amüsierte Antwort: „Stone, um Gottes willen, wie kann man diese Individuum mit Mandela vergleichen?“ MICHAEL BRAUN