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Archiv-Artikel

Ein Exportwunder bringt noch keine Jobs

Deutsche Exporte steigen 2004 voraussichtlich auf neue Rekordhöhe. Arbeitsplätze entstehen dadurch aber nicht

BERLIN taz ■ Nicht nur für die Entwicklungsländer, auch für Deutschland ist es schlecht, dass die Welthandelskonferenz in Cancún gescheitert ist. Das ist die Meinung des Bundesverbandes des deutschen Groß- und Außenhandels, der „große Hoffnungen“ in Cancún gesetzt hatte. Mit einem Außenhandel von 67 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung sei Deutschland auf eine weitere Liberalisierung des Freihandels angewiesen, so BGA-Präsident Anton Börner gestern in Berlin.

Den Vorwurf der Entwicklungsländer, die EU und die USA trügen die Hauptschuld am Platzen der Konferenz, lässt Börner nicht gelten. Die beiden Industrieblöcke hätten keineswegs zu geringe Zugeständnisse im Agrarbereich gemacht, vielmehr seien „positive Signale der EU und der USA zur Agrarliberalisierung unterschätzt“ worden. Börner: „Die Entwicklungsländer haben zu viel gefordert.“ Das Scheitern gehe jetzt zu ihren eigenen Lasten: Die ärmsten Länder nämlich haben nur einen Anteil von zwei Prozent am gesamten Welthandel und daher enormen Nachholbedarf. Bisher aber verhindern „Korruption, Anarchie und Bürgerkrieg“, dass die Ergebnisse früherer Welthandelsrunden umgesetzt wurden – Zollsenkungen etwa.

In Deutschland sind es eher die „bekannten Fallstricke unseres Arbeitsrechts“, die der Wirtschaft zu schaffen machen. So übersteigen die deutschen Ausfuhren die Einfuhren zwar auch in diesem Jahr mit 125 Milliarden wieder bei weitem, und die Exporte nehmen um 3,5 Prozent zu. Doch „bedeuten diese guten Aussichten leider noch keine neuen Arbeitsplätze“, so Börner. Erstens liegen 3,5 Prozent deutlich unter dem langjährigen Mittelwert von 6,6 Prozent. Und zweitens seien die Kapazitäten noch mehr als ausreichend und eine flexible Beschäftigungspolitik eben nicht möglich. Immer mehr Firmen lenkten ihre Investitionen ins Ausland, so das Lamento des BGA. Angeblich denkt ein Viertel aller deutschen Unternehmer über eine Abwanderung nach.

Und es lauern weitere Gefahren: Der Euro, einst als Schwächling beweint, erschreckt nun die Wirschaft mit seiner Stärke. Bei etwa 1,15 Dollar liegt sein Kurs. Der Außenhandelsverband erwartet, dass er bis Mitte nächsten Jahres auf 1,25 Dollar steigt „und dann noch weiter“. Das macht deutsche Exporte für alle diejenigen Länder teuer, die in Dollar handeln oder ihre Währung an den Dollar gekoppelt haben: die USA, ganz Lateinamerika und weite Teile Asiens. Umgekehrt steigen dann die Importe aus diesen Gegenden. Schon in diesem Jahr haben die Einfuhren um viereinhalb Prozent auf 546 Milliarden Euro zugenommen. Gefährlich außerdem: Das „Zwillingsdefizit“ der USA, also Löcher sowohl im Haushalt als auch in der Leistungsbilanz sowie die Lage im Iran und in Nahost und der steigende Ölpreis.

Trotz allem aber schätzt der Verband, dass im kommenden Jahr „die positiven Einflüsse überwiegen“. Der Beitritt von zehn Neulingen zur EU etwa, die allesamt noch einen „klaren Nachholbedarf“ haben – eine Chance für die deutsche Wirtschaft, die Investitionsgüter wie Industrieanlagen dorthin exportieren kann.

Die „Wachstumssignale“ aus Asien, wo sich Japan erholt und der chinesische Markt als Goldgrube gilt. In der ersten Hälfte dieses Jahres stiegen die Ausfuhren nach China bereits um ein Drittel, umgekehrt ist das Land Meister im weltweiten Export von billiger Ware. Ingesamt fließen knapp 11 Prozent des gesamten deutschen Warenstroms nach Asien, 15 Prozent aller Ausfuhren stammen von dort.

China, der neue asiatische Tiger, ist übrigens erst seit kurzem Mitglied in der WTO. Seine wirtschaftliche Potenz hat das Land gerade nicht durch radikale Zollsenkungen und Freihandel gewonnen, sondern durch den jahrelangen Schutz seiner Märkte. In Cancún gehörten die Chinesen zur „G 22“ der Schwellenländer, denen der BGA vorwirft: Ihr „Profilierungsbedürfnis“ sei einem Kompromiss abträglich gewesen. KATHARINA KOUFEN