: Sinnvolle Förderung
Ein-Euro-Jobs schaden den Langzeitarbeitslosen – als Brücke in den ersten Arbeitsmarkt sind sie untauglich, meinte Gaby Gottwald am 3. 9. an dieser Stelle. Eine Gegenrede
Für das namenlose Heer der lange aus der Arbeit Ausgegrenzten hat Hartz IV mit seiner Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zu einer neuen „Grundsicherung für Arbeitssuchende“ zumindest den Vorteil, dass sie plötzlich im Mittelpunkt des politischen Interesses stehen. Bislang war ihr Schicksal allenfalls mal Schlagzeilen wert, wenn sie bei Schwarzarbeit oder Irreführung der Sozialämter ertappt wurden. Wie unterschiedliche Städte und Kreise mit ihnen umgingen, war bestenfalls ein Thema der Experten und der Stammtische. Künftig muss sich jede Regierung daran messen lassen, ob und wie sie das Elend der über drei Millionen Langzeitarbeitslosen und ihrer Familien beseitigt oder zumindest mindert. Denn: Der Bund hat mit der neuen Grundsicherung die Hauptverantwortung übernommen und Schluss gemacht mit der Kommunalisierung der durch Arbeitslosigkeit erzeugten Armut. In den Monatsberichten der Bundesagentur für Arbeit wird man auf die Entwicklung in diesem Hinterhof der bundesdeutschen Sozialpolitik genau so achten wie auf die allgemeine Arbeitsmarkt- und Wirtschaftsentwicklung.
Der Disput über die fälschlicherweise so genannten Ein-Euro-Jobs und ihre Missbrauchsmöglichkeiten, den Gaby Gottwald kürzlich an dieser Stelle beklagte, ist typisch für die durch Hartz IV ausgelöste Neuentdeckung eines alten Dilemmas. Die Kommunen bieten gemeinnützige Arbeitsgelegenheiten im Umfang von etwa 350.000 Stellen seit vielen Jahren an. Manche – etwa Laubfegen im Stadtwald – sind tatsächlich so schikanös, wie Gaby Gottwald geißelt. Viele aber haben Qualität und Augenmaß: Hilfskräfte in den Küchen von Kitas, Handwerker in freien Theatern, Bauhelfer für Renovierungen, Bürokräfte in Verwaltungen: Entscheidend ist, ob die Betroffenen gezielt auf einen späteren Job im allgemeinen Arbeitsmarkt vorbereitet werden. Die ganze gemeinnützige Arbeit als Lohndumping und verfassungswidrige Zwangsarbeit zu geißeln ist daher zu polemisch und geht an den Bedürfnissen der Langzeitarbeitslosen vorbei.
In Köln – um nur ein Beispiel zu nennen – haben Sozial- und Arbeitsverwaltung gemeinsam das Leistungs- und Problempotenzial von über 20.000 Langzeitarbeitslosen analysiert. Das Ergebnis ist erschütternd. Es macht deutlich, dass diese bislang vernachlässigten Menschen unter einer Fülle individueller Hemmnisse leiden, die ihre Arbeitsvermittlung selbst bei Hochkonjunktur ziemlich unwahrscheinlich macht.
Von hundert Langzeitarbeitslosen in Köln – die Zahlen sind auf andere westdeutschen Großstädten übertragbar – benötigen zum Beispiel 40 eine Schuldnerberatung, weil ihre Schulden höher sind als ein realistischer künftiger Jahresverdienst; 30 brauchen eine intensive Gesundheits- und Familienberatung, weil die Verquickung familiärer, sozialer und gesundheitlicher Beeinträchtigungen ihre Leistungs- und Vermittlungsfähigkeit zumindest vorübergehend deutlich einschränkt; ebenso viele sind auf Förderunterricht zum Nachholen des Schulabschlusses angewiesen, und 20 müssen Deutschunterricht erhalten, weil ausreichende Fähigkeiten zum Schreiben, Rechnen und Lesen fehlen. Jeder zweite hat dabei keine abgeschlossene Berufsausbildung. Diese Menschen brauchen also aus einer Hand berufliche Qualifizierung und persönlichen Hilfe im Privatbereich.
Das ist der Scherbenhaufen einer Sozialpolitik, die allzu lange auf die Höhe der Transferleistungen größeren Wert legte als auf Hilfen zur Überwindung der Notlagen. Die neue Grundsicherung leitet hier unter dem Prinzip „Fördern und Fordern“ eine Umkehr ein. Bundesagentur und Kommunen sind künftig verpflichtet, mit den Betroffenen Eingliederungsvereinbarungen zu treffen, die ihrem Hilfebedarf im beruflichen und psychosozialen Bereich entsprechen. Das wird Aufgabe der neuen Fallmanager sein. Persönliche Begleitung, auf die bislang kaum eine Rechtsanspruch bestand, hat künftig eine herausragende Bedeutung. Hartz IV bietet damit die Option, die bisherige Politik der unterlassenen Hilfeleistung zu beenden.
Die gemeinnützige Arbeit erhält in diesem Kontext eine neue Bedeutung, wenn sie von den Akteuren vor Ort – Arbeitsagentur, Kommune, Freie Wohlfahrtspflege, Beschäftigungsträger, Integrationsfirmen für Behinderte – so gestaltet und finanziert wird, dass die Arbeitssuchenden eine faire Chance erhalten, sich nach langer Zeit der erzwungenen Untätigkeit wieder Schritt für Schritt an die Belastungen des Arbeitslebens zu gewöhnen. Alle Experten drängen daher zu Recht darauf, dass den Betroffenen nicht nur Arbeit geboten wird, sondern gleichzeitig berufliche Qualifikation, sozialpädagogische Begleitung und Vermittlungshilfe. Wo so gearbeitet wird, wachsen die Chancen der Betroffenen auf eine Anschlussbeschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt messbar. In Köln beträgt die Eingliederungsquote über 30 Prozent. Insgesamt stieg die Effizienz der Vermittlung Langzeitarbeitsloser durch Kooperation von Stadt und Arbeitsverwaltung um 110 Prozent, in Pirmasens sogar um 140 Prozent.
Insbesondere für die große Zahl der gesundheitlich belasteten oder behinderten Arbeitssuchenden sind Jobs im gemeinnützigen Bereich unentbehrliche Sprungbretter zum Einstieg ins Erwerbsleben. Die über 400 Integrationsprojekte, die Behinderte nach den Modalitäten des allgemeinen Arbeitsmarktes beschäftigen, bieten daher im Vorfeld seit jeher erfolgreich zur Einarbeitung derartige Stellen an. Die Nachfrage ist größer als das Angebot, von Arbeitszwang kann daher keine Rede sein.
Auch die dem zweiten Arbeitsmarkt angehörenden Beschäftigungsgesellschaften sind dabei, sich, dem Vorbild der Integrationsfirmen folgend, stärker auf den allgemeinen Arbeitsmarkt hin zu orientieren, um Übergänge zu erleichtern und Konkurrenzängste gewerblicher Firmen zu berücksichtigen. Ein Weg dazu sind Kooperationen zwischen den Trägern und privatwirtschaftlichen Firmen bei Abwicklung öffentlicher Aufträge.
Ohne den sanften Einstieg, den die gemeinnützige Arbeit ermöglicht, hätten hunderttausende keine realistischen und zumutbaren Startchancen. Minister Wolfgang Clement ist daher gut beraten, wenn er den Ausbau auf bis zu 600.000 Stellen fordert. Wer behauptet, es handele sich dabei um Dumpinglöhne von ein oder zwei Euro, übersieht: In Wirklichkeit erhält ein Alleinstehender staatliche Gegenleistungen von rund sieben Euro pro Stunde, weil Regelsatz, Unterkunftskosten und Sozialversicherungsbeiträge (außer Arbeitslosenversicherung) hinzukommen. Es handelt sich zudem nicht um ein Arbeitsverhältnis, sondern um eine Fördermaßnahme.
Ob der Bund und die Kommunen ihren Förderverpflichtungen nachkommen, das wird die Bewährungsfrage bei der Beurteilung von Erfolg und Misserfolg dieser Reform. Die gemeinnützige Arbeit ist ein zentraler Baustein im System der erforderlichen Hilfen. ARND SCHWENDY