Wo einst der Pranger stand

Die Zunft der Deutschen Rechtshistoriker tagt derzeit in Bon. Diskutiert werden die Einflüsse historischen Rechts auf die Gegenwart – anschaulich wird das auch anhand der Topographie der ehemaligen Bundeshauptstadt am Rhein

Auch Kurioses wie mittelalterliche Strafprozesse ist Thema von Rechtshistorikern

BONN taz ■ 1804 trat das Bürgerliche Gesetzbuch Frankreichs, der Code Civil, in Kraft und revolutionierte die damalige Rechtsordnung. Geschrieben wurde das auch Code Napoléon genannte Gesetzeswerk zu großen Teilen (und zwar eigenhändig) von dem Franzosen-Kaiser – ein außerhalb der Fachwelt nur wenig bekanntes Verdienst des sonst eher aufgrund seiner Feldzüge berüchtigten Bonaparte. Zu seinem 200-jährigen Jubiläum bildet der Code Civil einen Schwerpunkt des Deutschen Rechtshistorikertags, der noch bis morgen in Bonn stattfindet.

Ob in Frankreich, Belgien oder sogar im fernen Louisiana: Der 200. „Geburtstag“ des Code Civil wird weltweit gefeiert – nicht ohne Grund. Er gilt als Basis der modernen Rechtsordnung. 1804 in Frankreich in Kraft gesetzt, galt der Code Civil bis 1900 auch im Rheinland – eine Tatsache, auf die die Bewohner stolz waren. Schließlich setzte der Code Civil die Trennung von Kirche und Staat durch, ermöglichte Scheidungen, schaffte Bevorzugungen des Adels etwa im Erbrecht ab und brachte für die Bürger mehr Freiheiten. „Der Code Civil war für die Rheinländer ein identitätsstiftendes Merkmal“, erklärt der Bonner Rechtshistoriker Mathias Schmoeckel, „gerade auch in Abgrenzung zum wesentlich weniger liberalen preußischen Recht.“ Jean-Louis Halpérin, der in Frankreich die offiziellen Feierlichkeiten zum 200-jährigen Jubiläum organisiert hat, hielt im Bonner Landgericht den Festvortrag über den Code Civil.

Auch andere Epochen der Rechtsgeschichte waren ein Thema auf dem alle zwei Jahre stattfindenden Rechtshistorikertag. Der Sachsenspiegel von 1220 etwa war ein weiterer berühmter Text der Rechtsgeschichte, über den in Bonn diskutiert wurde. Erstaunlicherweise war auch dieser bis in das Jahr 1900 in weiten Teilen Deutschlands gültig. Verfasser des „Monuments der deutschen Rechtstradition“, so Schmoeckel, „war der Ritter Eike von Repgow.“ Brandaktuelle Forschungsergebnisse sprechen dafür, dass der Einfluss des damaligen Kirchenrechts auf den Sachsenspiegel sehr viel größer gewesen sein könnte, als bislang angenommen. „Für die Fachwelt wäre das eine Sensation“, so Schmoeckel. Ein weiterer Schwerpunkt der Tagung ist das Kolonialrecht. Vor dem Hintergrund des brutal niedergeschlagenen Herero-Aufstands in Namibia vor genau 100 Jahren und der damit verbundenen Schadensersatzforderungen an die Bundesrepublik ist auch das von aktuellem Interesse.

Aber auch mit auf den ersten Blick Kuriosem befassen sich die Rechtshistoriker – dazu gehört das Strafprozessrecht im Mittelalter oder das Thema Gläubigerverzug und Pfandrecht im antiken Rom. Ein Sonderthema widmet sich dem Kirchenrecht. Der Primas der katholischen Kirche von Ungarn, Peter Kardinal Erdö, Erzbischof von Estergom-Budapest, referierte über den Stand der historischen Forschung zum kanonischen Recht, für ihn ein Dialog zwischen Theologie und Rechtsgeschichte.

Wie Rechtssprechung und Urteilsvollstreckung in der Realität aussahen, zeigt die parallel zum Rechtshistorikertag stattfindende Ausstellung „Stätten des Rechts“ im Landgericht Bonn. Pranger, Kerker, Galgen und andere historische Richtstätten der Bundesstadt sind dort noch bis zum 24. September zu sehen. Während aufsässige Studenten einst im Karzer der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität schmorten, diente der Münsterplatz im Herzen der Altstadt als Aufstellungsort für den Pranger. „Die ganze lokale Rechtsgeschichte lässt sich am Bild einer über Jahrtausende gewachsenen Stadt ablesen – man muss dafür nur rechtshistorisch ‚sehen‘ können“, erläutert Schmoeckel, Städte seien seit ihrer Entstehung geprägt von juristischen Aspekten. Die Organisatoren haben deshalb 20 Orte ausgewählt, an denen sie die rechtlichen Einflüsse auf die Topographie der Stadt darstellen. Da man die lokale Rechtsgeschichte nicht isoliert betrachten kann, spannen die Veranstalter zudem den Bogen zur allgemeinen rechtshistorischen Entwicklung. Das reicht von der römischen Besiedlung des Stadtgebiets über die Zeit als Bundeshauptstadt bis heute. Die Ausstellung, zu der auch ein Katalog erscheint, ist montags bis freitags von 7 bis 16 Uhr zu besichtigen. HOLGER ELFES