piwik no script img

Archiv-Artikel

Stationär beschulte Dinosaurier

Ist es sinnvoll, die Integration von lernbehinderten Schülern durch externe Zentren zu förden? Im taz-Gespräch streiten der CDU-Abgeordnete Marcus Weinberg und Klaus Koch, Lehrbeauftragter für pädagogische Diagnostik an der Uni Hamburg

Moderation: Kaija Kutter

taz: Herr Weinberg, die CDU hat Eckpunkte für neue Förderzentren vorgestellt, morgen soll ihr Antrag die Bürgerschaft passieren. Warum die Eile?

Marcus Weinberg: Die Sache ist nicht übereilt. Wir haben zu dem Komplex zur Schulgesetzänderung vor einem Jahr eine Expertenanhörung gehabt. Die Fachdiskussion mit Studien und Gutachten dauert schon lange. Es gibt hier einen Handlungsdruck, weil es ungerechte Chancen für die Kinder dieser Stadt gibt. An nur 15 Prozent der Grundschulen haben wir Integrationsklassen, an den übrigen fehlt diese Unterstützung.

Klaus Koch: Der Handlungsdruck ist vorhanden, nur Sie müssen doch erkennen, dass Sie nicht ausführlich genug mit den Fachvertretern diskutiert haben. Wie ist es sonst zu erklären, dass von GEW und Elterninitiativen, dem Verband für Integration bis hin zum Fachbereich Erziehungswissenschaft alle klar von der Realisierung dieses Modells abraten? Die genannten Gruppen begreifen das, was Sie jetzt tun, als Arroganz der Macht.

Weinberg: Wir haben sehr viel mit allen diskutiert. Nun muss die Politik Eckpunkte setzen.

Koch: Der Antrag hat zentrale Strukturfehler und birgt das Risiko einer deutlichen Qualitätsverschlechterung in der sonderpädagogischen Förderung. Es sollen zehn zentrale Förderzentren entstehen, von denen die Sonderpädagogen als externe Gäste an die Schulen entsandt werden. Dies ist ein Fehler. Die Heimat dieser Sonderpädadogen muss da liegen, wo auch die pädagogische Heimat der Kinder mit Förderbedarf liegt, nämlich in der Grundschule. Was hier geplant ist, läuft darauf hinaus, dass der Sonderpädagoge mit dem Test-Köfferchen durch die Lande reist und bestenfalls im Separee Präventionsarbeit leistet.

Sie befürchten, dass die Zahl der an Sonderschulen abgeschulten Schüler steigt?

Koch: Dazu gibt es wissenschaftliche Studien, beispielsweise im Saarland. Dort haben sich die gemeldeten Fälle explosionsartig vermehrt. Das CDU-Konzept sieht aber keine zusätzlichen Stellen vor.

Weinberg: Es gilt bei unserem Antrag das Primat der Integration. Aber nicht mehr auf 36 IR-Schulen bezogen, sondern auf das Kind, das eine Förderung braucht. Unser Ziel ist es, die Sonderpädagogen an den Grundschulen zu installieren.

Koch: Ja, dann tun Sie das doch.

Weinberg: Dann muss man erst analysieren, welche Bedarfe haben welche Schulen, weil sie welche Schüler haben. Ich prognostiziere, dass wir mit unserem Modell ein stärkeres Maß an Integration haben werden. Aber, machen wir uns nichts vor, es gibt eine große Zahl von Kindern, die nicht integrativ beschult werden können. Es gibt Kinder, für die ist es das Beste, stationär am Förderzentrum beschult zu werden. In dem Gutachten der Uni über den IR-Schulversuch konnte nicht nachgewiesen werden, dass die Wahrscheinlichkeit, dass die Kinder nach der Grundschule auf die Sonderschule kommen, gesenkt werden konnte.

Koch: Einspruch – Sie sollten das Gutachten richtig lesen. In integrativen Situationen kann man ein besseres „Fähigkeit-Selbstkonzept“ für leistungsschwächere Schüler aufbauen. Es geht den Kindern dort besser. Und die leistungsstärkeren Schüler lernen dort nicht schlechter. Der Strukturfehler ihres Modells besteht darin, dass es ein Dilemma schafft. Die Grundschule bekommt nur dann Sonderpädagogikstunden, wenn sie Behinderungsfälle nachweist.

Also gibt es einen Anreiz, immer mehr Fälle zu melden, um Ressourcen an sich zu ziehen. Das Ergebnis ist, dass wir am Ende nur mehr gemeldete Fälle haben, aber darauf mangels Personal nicht adäquat reagieren können. Die Stationären Gruppen in den Förderzentren werden dazu führen, dass sie dort eine Endstation schaffen.

Weinberg: Unter Diagnose verstehen wir nicht, dass einmal der Mann mit dem Köfferchen kommt. Sie ist ein fortlaufender Prozess. Wenn das Kind für eine begrenzte Zeit stationär beschult wird, soll möglichst früh überprüft werden, ob wieder eine Integration möglich ist. Unser Ziel muss sein, dass das Kind nach der Grundschule nicht auf die Sonderschule muss.

Koch: Das wird nur mit den gedeckelten Ressourcen nicht funktionieren.

Was wäre denn bei den vorhandenen Ressourcen die Alternative zum CDU-Plan?

Koch: Wir haben jetzt durch die KESS-Grundschulstudie verlässliche Daten über den sozialen Belastungsgrad der Schulen. Wir sollten alle zusätzlichen Stellen im Grundschulbereich, auch die Deutsch- und Leseförderung und die Stellen aus dem Primarbereich aller Förder- und Sprachheilschulen nehmen, um eine je nach Standort differenzierte sonderpädagogische Grundversorgung vorzunehmen.

Weinberg: Die Idee, die KESS-Daten als Verteilungsschlüssel zu nehmen, finde ich sympathisch. Ich könnte mir das für die Implementierungsphase des Modells vorstellen. Aber anschließend muss es eine diagnosegeleitete Ressourcenzuweisung geben.

Koch: Schaffen sie kein Anreizsystem für Etikettierung. Das wäre ein Schritt in die pädagogische Dinosaurierzeit.