zwischen den rillen : Die Plankton-Ebene des Independent
Aus Liebe zur Streuung: Das norwegische Label Smalltown Supersound spannt den Bogen von Noise bis elektronischem Jazz
Für Independentlabels ist Globalisierung nicht immer ein Schimpfwort. Schon in den Achtzigerjahren wurden kleine Netzwerke gegründet, die aus einem lokalen Kontext heraus international operierten. Meistens fing alles mit einer entsprechend begeisterten Fanbasis vor Ort an, die sich über Mailing-Listen ausweitete: Weil sich in Oberfranken eine Neo-Psychedelic-Szene gebildet hatte, erschienen dort plötzlich Reissue-Sampler alter Garagenrocker aus San Francisco, und in Turin brachten rührige Hausbesetzer kanadische Industrial-Platten auf den Markt, der seinerzeit ohnehin nur aus ein paar Läden weltweit bestand.
Schnell fand man ähnlich gelagerte Nerds in anderen Ländern, mit denen man sich austauschen konnte, das war den Spaß eines eigenen Plattenlabels wert. Mit Techno ist diese Art Low-Frequency-Publishing in den Neunzigerjahren förmlich explodiert und hat sich trotz des ganzen Geredes von der Krise der Musikindustrie nie wieder zurückentwickelt. Es gibt japanische Labels, die sich auf Zen-artiges Glöckchenbimmeln zum Chillen spezialisiert haben, und es gibt in London einen Haufen Booty-Verrückter, die brasilianische Favela-Beats für das definitive Rave-Highlight halten. All das wird Woche für Woche in meist winzigen Auflagen auf den Markt gebracht. Mögen die Global Player von Sony, BMG, Universal oder EMI noch so gefräßig übereinander herfallen, bis irgendeine letzte Instanz das Monopol in Sachen Pop besitzt – auf der Plankton-Ebene des Independent geht die Produktion davon ungerührt und munter weiter.
Anders kann man sich die Existenz von Smalltown Supersound aus Norwegen gar nicht erklären. Wie schafft es ein nahezu unbekanntes Label, innerhalb von sechs Monaten nicht bloß ein gutes Dutzend CDs zu veröffentlichen, sondern dabei selbst Bands wie Sonic Youth für ein gemeinsames Vorhaben zu gewinnen? Vermutlich durch staatliche Förderung, denn in Skandinavien ist man mit Kulturgeldern auch für verschrobene Musikprojekte ziemlich großzügig, wenn der Kunstanspruch stimmt.
Tatsächlich geht die Zusammenarbeit des schwedischen Saxofonisten Mats Gustaffson mit Sonic Youth auf eine Performance zurück, die im Oktober 2000 im Ystader Konstmuseum uraufgeführt wurde. Über das gesamte Gebäude verteilt befanden sich jeweils ein paar der Musiker in separaten Räumen. Per Stoppuhr durften sie Teile einer Partitur einspielen, die über eine Audiobox mit den Bewegungen einer Tänzerin koordiniert wurden. Die Welle aus Lärm, Gitarrenfeedback und einem sonor von Kim Gordon vorgetragenen Text funktionierte als eine freie Improvisation, die als Live-Mix im Mischpult von Jim O’Rourke endete. Danach gab es Rotwein und Kritik, wie bei anderen Vernissagen auch.
Dass dieses experimentelle Noise-Gefrickel jetzt als CD zu haben ist, sagt viel über die Neugier, die das Label Smalltown Supersound antreibt. Vor zehn Jahren von dem DJ Joakim Haugland als unabhängiger Kassetten-Vertrieb gegründet, reicht das Spektrum von soliden Dance-Tracks bis zu schwer hörbaren Field-Recordings, die Kim Hiorthoy irgendwo in der Pampa aufgenommen hat. Minutenlang ist auf seiner CD „For the Ladies“ absolute Windstille, dann knarrt eine Tür oder ein Sack Reis fällt um. Zugleich ist Hiorthoy aber auch für eine wunderbare Five-Track-EP mit dem Titel „Hopeness“ verantwortlich, auf der er eine Art elektronischer Kammermusik programmiert hat, die mal mit den Beach Boys in Kirchentonarten quietscht und dann hart auf die Tanzfläche prallt.
Doch selbst Smalltown Supersound würde kaum ohne einen Hit im Sortiment bestehen können. Nicht von ungefähr wird in Oslo zu einem Zeitpunkt schwer durchgestartet, da die heimischen Jaga Jazzist auf Welttournee gehen, die zuletzt bei Ninja Tune unter Vertrag waren und mit denen Haugland seit einigen Jahren befreundet ist. Deshalb wurde zum Tourstart mit „Magazine“ ein Album des zehnköpfigen Jazz-Breakbeat-Kollektivs aus dem Jahr 1998 neu aufgelegt. Parallel dazu durfte Lars Horntveth, der bei Jaga Jazzist die Trompete bläst und den Großteil der Stücke schreibt, mit „Pooka“ sein erstes Solo-Album auf Smalltown Supersound veröffentlichen. Das Ergebnis klingt wie ein Blind Date mit Soft Machine und Aphex Twin – so viel Streuung hat nicht einmal der Blur-Clan um Damon Albarn in seiner besten Phase produziert. Bleibt zuletzt nur die Frage, wie sich der Japaner Yuichiro Fujimoto mit seinen Wohnzimmerminiaturen aus Xylophon und Wandergitarre auf das Label verirrt hat. Vielleicht liegt es an der gemeinsamen Freude für Ambient-Folklore oder am Kiffen. Das verbindet ja wie der Independentgedanke auch über Ländergrenzen hinweg.
HARALD FRICKE
Mats Gustaffson/Sonic Youth: „Hidros 3“; Kim Hiorthoy: „For The Ladies“; Kim Hiorthoy: „Hopeness“; Jaga Jazzist: „Magazine“; Lars Horntveth: „Pooka“