: Startschuss für die unmögliche Reform
Einmütig beschließt der Bundestag eine Föderalismus-Kommission. Die Chancen auf eine schnelle Einigung sind gering
BERLIN taz ■ Ausnahmsweise wurde niemand unter Druck gesetzt, der Kanzler drohte nicht mit Rücktritt, und auch die Oppositionsführerin hatte sich keine ausgefeilte Strategie zurechtgelegt. Es gab keine einzige Gegenstimme, als der Bundestag gestern die Einrichtung der lange erwarteten Föderalismus-Kommission beschloss. Alle Parteien sind sich einig, dass der deutsche Bundesstaat von Grund auf renoviert werden muss.
Wie sehr das Thema sowohl der Regierung als auch der Opposition am Herzen liegt, zeigt schon die Besetzung des neuen Gremiums. Für die SPD sitzt dort kein Geringerer als Fraktionszuchtmeister Franz Müntefering, und die Union schickt den Möchtegernkanzler Edmund Stoiber ins Rennen. Unter ihrem Vorsitz sollen jeweils 16 Vertreter von Bundestag und Bundesrat mit Zweidrittelmehrheit ihre Empfehlungen für eine Verfassungsreform beschließen. Vertreter von Bundesregierung, Landtagen und Kommunen dürfen nur beratend teilnehmen.
Die gestrige Debatte im Bundestag zeigte allerdings auch: Wenn die Kommission ihre Arbeit am 7. November aufnimmt, wird es mit der Einigkeit schnell vorbei sein. Zwar wollen alle Beteiligten die Kompetenzen von Bund und Ländern stärker trennen, damit sich die beiden Ebenen nicht ständig blockieren wie derzeit im Bundesrat und in zahllosen Bund-Länder-Kommissionen. Doch an der Frage, wer auf Macht verzichten soll, scheiden sich die Geister.
So drohte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD), es könne „nicht nur“ darum gehen, den Ländern mehr Zuständigkeiten zu geben. In den Vorgesprächen ließ der Bund bereits durchblicken, was er unter „nicht nur“ versteht: Wie aus Länderkreisen kolportiert wird, will der Bund nur auf marginale Kompetenzen wie die Bekämpfung von Freizeitlärm verzichten. Die Lufthoheit über den Münchener Biergärten dürfte Stoiber demnach beanspruchen, mehr aber auch nicht.
Die Union, derzeit mit einer satten Mehrheit in der Länderkammer ausgestattet, ist an einer Aufhebung der Bundesratsblockade nicht ganz so brennend interessiert. Die Unions-Juristen wollen auf die Einspruchsrechte nur verzichten, wenn der Bund im Gegenzug fast alle Durchgriffsrechte in Länderkompetenzen aufgibt. Doch allzu weit will es Bundesratspräsident Wolfgang Böhmer (CDU) mit der Eigenständigkeit der Länder gar nicht treiben. Er warnt davor, „die Solidarität unter den Ländern in Frage zu stellen“ – schließlich stammt er aus dem armen Sachsen-Anhalt.
Sinn der Kommission sei es nicht, so Parlamentspräsident Wolfgang Thierse (SPD), „bestimmten politischen Projekten aus der Bredouille der Blockade zwischen Bundestag und Bundesrat zu helfen“. Derlei salbungsvolle Worte werden in der Praxis schnell vergessen sein.RALPH BOLLMANN