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Archiv-Artikel

„Mean Jeanne“ zieht ihre Bahn

Mit „Jeanne“ trifft der vierte Hurrikan in sechs Wochen Florida. Die „böse Jeanne“ heißt er dort. Doch folgen viele den Evakuierungsaufrufen nicht mehr

aus WashingtonMICHAEL STRECK

Das hat es seit Beginn der Wetteraufzeichnungen 1851 noch nicht gegeben: Innerhalb von sechs Wochen wurde der US-Bundesstaat Florida viermal von einem Hurrikan heimgesucht. Mit gewaltigen Sturmböen und sintflutartigen Regenfällen erreichte „Jeanne“ am Sonntag die Küste – fast genau dort, wo auch schon sein Vorgänger „Frances“ vor drei Wochen gewütet hatte. Die Bilder gleichen sich. Boote wurden auf das Land geschleudert. Häuser gaben dem Wind nach. Orte standen unter Wasser. Und entwurzelte Bäume zerrissen Stromleitungen. Rund eine Million Menschen waren nach Angaben der Energiebehörden in Florida am Sonntag bereits ohne Strom.

Der Hurrikan „Charley“ hatte Mitte August schwere Schäden im Südwesten Floridas angerichtet. Erst vor zehn Tagen traf dann „Ivan“ den Nordwesten Floridas am Golf von Mexiko. Durch die ersten drei Stürme kamen mindestens 70 Menschen ums Leben. Neue Opferzahlen sind noch nicht bekannt. Die Sachschäden erreichten bislang mehrere Milliarden Dollar.

„Jeanne“ galt als besonders tückischer Sturm, da er nach seinem Zerstörungswerk auf der Karibikinsel Haiti auf dem Weg Richtung Florida stärker, schneller und größer geworden war. „Mean Jeanne“ hat man ihn in Florida getauft.Das Hurrikan-Zentrum in Miami rechnet mit weitaus größeren Schäden als beim Sturm „Frances“ vor drei Wochen. Der Wirbelsturm drehte nach dem Aufprall auf das Festland nach Nordwesten, fegte über das Landesinnere hinweg und nahm Kurs auf das Touristenziel Orlando. Dort hatte Disney World seine Vergnügungsparks geschlossen, die schon unter den früheren Hurrikans gelitten hatten.

Rund 3 Millionen Menschen entlang einem 500 Kilometer langen Küstenstreifen waren aufgefordert, sich in Sicherheit zu bringen. Rundfunk und Zeitungen gaben wie immer Überlebenstipps, welche Vorräte am besten gelagert und wie Häuser „sturmreif“ gemacht werden sollen. Insgesamt leben mehr als 15 Millionen Menschen in der vorausberechneten Zugbahn des Hurrikans – eine Folge des raschen Bevölkerungswachstums in Amerikas Urlaubsregion Nummer eins.

Anders als bei den vorangegangenen Stürmen haben jedoch diesmal weitaus weniger Menschen im Sonnenschein-Staat die Evakuierungsaufforderungen befolgt. Viele Notunterkünfte waren nur spärlich gefüllt oder blieben leer. „Wir sind einfach hurrikanmüde“, sagte der Bürgermeister von West Palm Beach dem Nachrichtensender CNN. Leute, die nach den letzten Unwettern nach Hause gekommen seien und ihre Häuser weitgehend unzerstört wiederfanden, seien nun trotziger und zuversichtlicher.

Für eine erste Schadensbilanz ist es noch zu früh. „Es wird auf jeden Fall Verwüstungen entlang der dicht besiedelten Küste geben“, sagte der Direktor des Hurrikan-Zentrums in Miami, Max Mayfield, dem Nachrichtensender CNN. Zudem könnte „Jeanne“ das Werk seiner Vorgänger vollenden. Vielen Bewohnern blieb kaum Zeit, sich um die alten Schäden zu kümmern, schon mussten sie sich auf neues Unheil vorbereiten.

Immerhin sind die Vorhersagen für die betroffenen Gebiete heute wesentlich exakter als noch vor einigen Jahren. Dank Satellitenaufklärung, Messflugzeugen, die aus dem Auge des Hurrikan Wetterdaten übermitteln, und Computern, die Millionen Informationen pro Sekunde verarbeiten, ist das Frühwarnsystem erheblich verbessert worden. Vor allem die Berechnung des wahrscheinliches Wegs ist genauer geworden. Warnungen und Evakuierungspläne müssen somit nicht mehr großflächig, sondern können für einzelne Regionen ausgegeben werden.

Die dramatischen Wetterereignisse könnten überdies einen politischen Niederschlag haben. Präsident Bush kann sich als großzügiger Helfer in der Not erweisen. Wie auch schon die vergangenen Male könnte er seinem Bruder Jeb, dem Gouverneur von Florida, unter die Arme greifen, indem er Teile des Staates zum Katastrophengebiet erklärt und damit Finanzhilfen aus der Staatskasse locker macht. So mancher in Florida, wo Bush im Jahr 2000 mit 537 Stimmen gewann und damit zum Präsidenten gekürt wurde, würde es ihm mit einem Kreuz auf dem Wahlzettel danken.